Tanz mit dem Schafsmann
normale Wand. Im Zimmer herrschte Totenstille. Nur der Lichtstaub flimmerte unverändert im Raum. Meine Schläfen fingen wieder leise an zu pochen. Ich presste meine Finger dagegen und starrte gebannt auf die Wand. Damals in Honolulu war sie genauso von einer Wand verschluckt worden, erinnerte ich mich.
»Und? Ist doch ganz einfach, oder?«, meldete sich Kiki wieder. »Du solltest es mal probieren.«
»Du meinst, ich kann das?«
»Ich sag dir doch, es ist ganz einfach. Probier’s! Du brauchst nur geradewegs darauf zuzugehen. Dann gelangst du auf die andere Seite. Keine Angst. Es gibt nichts zu befürchten.«
Ich nahm das Telefon, ließ das Kabel hinter mir herschleifen und lief auf die Stelle der Wand zu, wo Kiki aufgesogen worden war. Als sich die Wand vor mir auftürmte, schreckte ich innerlich ein wenig zurück, ging aber trotzdem ohne zu stocken weiter. Ich traf auf die Fläche, ohne dass es einen Aufprall gab, mein Körper glitt hindurch wie durch eine undurchsichtige Luftschicht. Nur die Konsistenz der Luft fühlte sich leicht verändert an. Ich hatte das Telefon noch immer in der Hand, als ich die Schicht durchdrungen hatte – ich war wieder in meiner Wohnung. Dort setzte ich mich aufs Bett und stellte mir den Apparat auf den Schoß. »Ganz einfach«, sagte ich. »Wirklich ganz einfach.«
Ich hielt den Hörer an mein Ohr, aber die Leitung war tot.
War das ein Traum?
Vermutlich. Nur ein Traum.
Aber wer weiß das schon?
43
Als ich im Dolphin Hotel eintraf, begrüßten mich an der Rezeption drei freundlich lächelnde junge Damen. Sie trugen die gewohnten knitterfreien Blazer und makellose, weiße Blusen. Yumiyoshi war nicht darunter. Ich war maßlos enttäuscht, geradezu verzweifelt. Ich hatte natürlich fest damit gerechnet, sie gleich bei meiner Ankunft anzutreffen, und brachte nun kaum ein Wort heraus. Ich konnte nicht einmal meinen Namen richtig aussprechen, sodass bei der Rezeptionistin, die mich bediente, das geölte Lächeln leicht gefror. Sie beäugte meine Kreditkarte misstrauisch und gab die Nummer zur Prüfung in den Computer ein.
Ich erhielt ein Zimmer im siebzehnten Stock. Dort stellte ich mein Gepäck ab, machte mich frisch und fuhr wieder in die Lobby hinunter. Ich ließ mich in ein weiches Luxussofa fallen, tat so, als wäre ich in ein Magazin vertieft und warf ab und zu einen Blick zur Rezeption. Vielleicht hatte Yumiyoshi ja gerade Pause. Doch nach einer Dreiviertelstunde war sie immer noch nicht da. Nur die drei geklonten Frauen mit ihren identischen Frisuren verrichteten unermüdlich ihren Dienst. Nach einer Stunde gab ich auf. Yumiyoshi hatte eindeutig keine Pause.
Ich verließ das Hotel und besorgte mir eine Abendzeitung. Dann setzte ich mich in ein Café und forstete bei einer Tasse Kaffee jede Seite durch, in der Hoffnung, einen für mich interessanten Artikel zu finden.
Doch nichts dergleichen. Es stand weder etwas über Gotanda noch über May darin, lediglich Berichte über andere Verbrechen und Selbstmorde. Während ich las, hoffte ich erneut, Yumiyoshi anzutreffen, wenn ich ins Hotel zurückkäme. Es musste einfach klappen.
Aber auch eine Stunde später war sie noch nicht aufgetaucht.
Plötzlich überkam mich der Gedanke, sie könnte aus irgendeinem Grund aus dieser Welt verschwunden sein. Vielleicht ebenfalls von einer Wand verschluckt? Bei dieser Vorstellung wurde mir bang. Ich rief bei ihr zu Hause an, aber niemand hob ab. Dann erkundigte ich mich an der Rezeption, ob Yumiyoshi da sei. »Frau Yumiyoshi hat sich seit gestern ein paar Tage frei genommen«, teilte mir ihre Kollegin mit, übermorgen sei sie wieder im Dienst. Na großartig! Wieso hatte ich sie nicht vorher angerufen? Warum war mir das nicht eingefallen?
Stattdessen hatte ich nur im Sinn gehabt, sofort ins nächste Flugzeug zu steigen und nach Sapporo zu fliegen. Ich war überzeugt, ich würde sie bei meiner Ankunft vorfinden. Was für eine törichte Vorstellung. Wann hatte ich sie überhaupt das letzte Mal angerufen? Seit Gotandas Tod und wer weiß wie lange davor nicht mehr. Seit Yuki sich am Strand übergeben hatte und Gotanda mir dann erzählte, er habe Kiki umgebracht, hatte ich nicht mehr mit ihr telefoniert. Ziemlich lange her. Ich hatte Yumiyoshi einfach links liegen lassen. Ich konnte gar nicht wissen, ob inzwischen irgendetwas vorgefallen war. Schließlich kann alles Mögliche passieren, einfach so.
Aber was hätte ich ihr eigentlich sagen sollen? Es ging wirklich nicht. – Yuki hatte
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