Tanz mit dem Schafsmann
dass sich bei der geringsten Gelegenheit eine grundlegende Wandlung vollziehen würde. Was natürlich nicht geschehen ist. Und dann ging sie fort. Ich fühlte mich zwar einsam, nachdem sie aus meinem Leben verschwunden war, doch es war die gleiche Einsamkeit, die ich auch schon vorher erlebt hatte. Ich konnte sicher sein, dass ich diese Einsamkeit gut überstehen würde.
Ich gewöhne mich allmählich daran.
Dieser Gedanke bereitete mir Unbehagen. Als würde aus meinen Eingeweiden eine schwarze Flüssigkeit bis zur Kehle hochquellen. Ich trat vor den Badezimmerspiegel. Das da also bin ich. Das bist du. Du hast dich selbst ruiniert. Du hast dich weit mehr kaputt gemacht, als du glaubst.
Ich wirkte viel schmuddeliger und älter als sonst. Ich wusch mir gründlich das Gesicht und rieb es mit einer Lotion ein. Ebenso gründlich schrubbte ich meine Hände, nahm ein frisches Handtuch und trocknete mich ab. Anschließend ging ich in die Küche, trank ein Bier und räumte dabei den Kühlschrank auf. Schmiss verschrumpelte Tomaten weg, stellte die Bierdosen ordentlich nebeneinander und die Behälter um und machte eine Einkaufsliste.
Als es bereits dämmerte, betrachtete ich gedankenverloren den Mond und fragte mich, wie lange es noch so weitergehen sollte. Irgendwann würde ich wieder zufällig einer neuen Frau begegnen. Wir würden einander anziehen, naturgemäß, wie Planeten. Vergeblich Wunder erwarten, die Zeit verschlingen, uns gegenseitig seelisch zermürben und dann auseinander gehen.
Wie lange sollte das so weitergehen?
2
Eine Woche, nachdem ich ihre Postkarte mit der Mondlandschaft erhalten hatte, musste ich beruflich nach Hokkaido. Wie üblich nichts Berauschendes, aber in meiner Situation konnte ich es mir nicht erlauben, wählerisch zu sein. Die Aufträge, die ich bekomme, unterscheiden sich sowieso nur geringfügig. Glücklicherweise – oder auch nicht – ist es ja im Allgemeinen so. Je weiter am Rande man sich befindet, umso weniger fallen Qualitätsunterschiede auf. Genau wie bei Frequenzen: Von einem bestimmten Punkt an lässt sich kaum noch sagen, welcher von zwei benachbarten Tönen höher klingt. Bis man sie nicht mehr auseinander halten und schließlich überhaupt nicht mehr hören kann.
Mein Auftrag war ein Artikel für ein Frauenmagazin: Feinschmecker-Restaurants in Hakodate. Zusammen mit einem Fotografen sollte ich ein paar Lokale abklappern. Ich war für die Story zuständig, er lieferte die Aufnahmen. Der gesamte Beitrag sollte fünf Seiten füllen. Das Frauenmagazin wollte einen solchen Artikel, und irgendjemand musste ihn eben schreiben. Genauso wie Müll oder Schnee beseitigt werden müssen. Egal, ob einem das gefällt oder nicht. Dreieinhalb Jahre lang habe ich triviale Kulturarbeit dieser Art geleistet. Kulturelles Schneeschaufeln, sozusagen.
Nachdem ich mich aus gewissen Gründen von meinem Geschäftspartner, mit dem ich eine Zwei-Mann-Agentur betrieb, getrennt hatte, ließ ich mich ein halbes Jahr nur treiben. Ich verspürte überhaupt keine Motivation, etwas zu tun. Im Herbst des Vorjahres war allerhand passiert in meinem Leben. Ich hatte mich scheiden lassen. Ein Freund war gestorben, unter merkwürdigen Umständen. Eine Frau hatte mich verlassen, ohne Erklärung. Ich begegnete eigenartigen Typen, fand mich in seltsame Ereignisse verwickelt. Und als alles vorbei war, umgab mich eine tiefe Stille, tiefer, als ich es je erlebt hatte. Eine gähnende Leere machte sich in meinem Apartment breit. Abwesenheit im kondensierten Zustand. Sechs Monate lang igelte ich mich zu Hause ein. Tagsüber verließ ich so gut wie nie die Wohnung, es sei denn, um das absolute Minimum an Einkäufen zu erledigen, die zum Überleben nötig waren. Mit dem ersten Morgengrauen wagte ich mich nach draußen und streunte ziellos durch das menschenleere Viertel. Sobald es belebter wurde auf den Straßen, zog ich mich in meine Behausung zurück und legte mich schlafen. Spätabends stand ich auf, bereitete mir einen Imbiss, fütterte den Kater. Dann setzte ich mich auf den Boden und grübelte zum x-ten Male über all das nach, was mir passiert war, versuchte es zu ordnen. Ich variierte die Reihenfolge der Ereignisse, erwog sämtliche Alternativen, überlegte, was ich richtig und was ich falsch gemacht hatte. Das zog sich bis zum Morgengrauen hin, bis ich dann wieder die Wohnung verließ, um durch die ausgestorbenen Straßen zu irren.
Ein halbes Jahr lang war das mein täglicher Trott gewesen. Von Januar bis Juni
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