Taran Bd 6 - Der Findling: Geschichten aus Tarans Welt
schrie er. »Auch wenn ich mir noch so viel Mühe gebe! Ich kann mich nicht unsichtbar machen! Alle in meiner Familie können verschwinden – Puff! Weg! Einfach so! Aber ich nicht! Nicht Doli. Glaub mir, wenn ich das könnte, hättest du mich nie in so einer Klemme vorgefunden. Doppeltes Pech! Aber jetzt komm! Steh da nicht rum und glotz wie ein Idiot. Hilf mir hier raus!«
Auf diesen scharfen Befehl hin begann Maibon an dem Stamm zu zerren, um ihn hochzuwuchten. Dann hielt er inne, runzelte die Stirn und kratzte sich den Kopf.
»Warte mal, einen Moment, Freund«, sagte er. »So, wie du aussiehst und mit deinem ganzen Gerede vom Unsichtbarwerden – ich glaube, du könntest einer vom Kleinen Volk sein.«
»Oh, wie klug!«, gab Doli zurück. »Oh, wie schlau! Großer Erdenklump! Riesen-Bohnenstange! Natürlich bin ich das! Was sonst! Genug geschwätzt. Jetzt mach schon! Mir schläft das Bein ein.«
»Wenn ein Mensch einem vom Kleinen Volk einen Gefallen tut«, rief Maibon mit wachsender Erregung, »dann muss der ihm auch einen tun, nicht wahr?«
»Ich wusste, dass du früher oder später draufkommen würdest«, knurrte der Zwerg. »So ist das nun mal mit euch grobschlächtigen, ungehobelten Kerlen. Früher mal, da kamt ihr Menschen gut mit uns klar. Doch heutzutage, kaum dass ihr jemanden vom Kleinen Volk seht, heißt es grabsch, grabsch, grabsch! Gier, Gier, Gier! Erfüll mir ’nen Wunsch. Gib mir dies, gib mir das! Als hätten wir nichts Besseres zu tun!«
»Ja, ich werde dir einen Wunsch erfüllen«, fuhr Doli fort. »Das ist die Regel, daran muss ich mich halten. Jetzt mach voran!«
Als Maibon das hörte, zog und zerrte und hackte er an dem Stamm herum, so schnell er konnte, und bald war der Zwerg frei.
Doli stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, rieb sich das Schienbein und warf Maibon einen vielsagenden Blick aus einem roten Auge zu. Dann sagte er:
»Also, gut. Du hast dein Werk getan, du sollst deinen Lohn haben. Was willst du? Gold, vermute ich. Das ist gang und gäbe. Juwelen? Schöne Kleider? Hör auf meinen Rat, wünsch dir was Praktisches. Einen Haselstrauchzweig, der dir hilft, Wasser zu finden, wenn dein Brunnen mal austrocknet? Eine Axt, die nie stumpf wird? Einen Kochtopf, der immer vor Essen überquillt?«
»Nichts von all dem!«, rief Maibon aus. Er beugte sich zu dem Zwerg hinab und flüsterte aufgeregt: »Ich habe gehört, dass ihr vom Kleinen Volk magische Steine besitzt, die einem ewige Jugend gewähren. Das ist es, was ich will. Als Lohn verlange ich einen von diesen Steinen.«
Doli schnaubte. »Ich hätt mir denken können, dass du dir so was aussuchst. Wie nicht anders zu erwarten, habt ihr Menschen alles durcheinander gebracht. Es gibt nichts, was jemanden wieder jung machen kann. Das geht selbst über unsere Fähigkeiten hinaus. Die Steine, von denen du redest? Also, ja, es gibt so was. Aber sie werden weit überschätzt. Alles, was sie können, ist das Altern zu verhindern.«
»Genauso gut!«, erklärte Maibon. »Mehr will ich ja gar nicht!«
Doli zögerte und runzelte die Stirn. »Ah – nur unter uns beiden gesprochen, nimm lieber den Kochtopf. Besser in allem. Diese Steine – wir würden sie lieber nicht weggeben. Es gibt da ein Problem –«
»Weil ihr sie lieber für euch selbst behalten wollt«, unterbrach ihn Maibon. »Nein, nein, du wirst mich nicht um das betrügen, was mir zusteht. Du brauchst es gar nicht erst zu versuchen. Ich hab dir gesagt, was ich will, und das will ich auch. Komm, lass das Ding rüberwachsen, und kein weiteres Wort dazu!«
Doli zuckte die Achseln und öffnete einen Lederbeutel, der an seinem Gürtel hing. Er schüttete einige glänzende Kiesel in seine Handfläche, suchte einen der größeren heraus und reichte ihn Maibon. Dann sprang der Zwerg auf, nahm die Beine in die Hand, rannte über das Feld und verschwand in ein Dickicht.
Lachend und triumphierend über sein Glück und seine Schlauheit, eilte Maibon zu seinem Haus zurück. Dort erzählte er seiner Frau, was ihm widerfahren war, und zeigte ihr den Stein, den er von dem Kleinen Volk eingefordert hatte.
»Wie ich jetzt bin, so werde ich bleiben!«, erklärte Maibon, spannte die Arme und schlug sich auf die Brust. »Ein Bild von einem Mann! Oho, kein grauer Bart und keine runzlige Stirn für mich!«
Anstatt in den Jubel ihres Mannes einzustimmen, rang Modrona die Hände und platzte heraus:
»Maibon, du bist ein größerer Narr, als ich es je für möglich gehalten habe! Und
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