Taran Bd 6 - Der Findling: Geschichten aus Tarans Welt
Feld mit grünen Weizenhalmen bedeckt, und die Zweige des Apfelbaumes neigten sich zur Erde, so beladen waren sie mit Früchten. Er lief zu seiner Hütte, umarmte seine Frau und seine Kinder und erzählte ihnen, was geschehen war. Die Henne brütete ihre Küken aus, die Kuh bekam ihr Kalb. Und Maibon lachte vor Freude, als er den ersten Zahn im Mund seines Kleinsten sah.
Niemals sah Maibon einen vom Kleinen Volk wieder, und es war ihm nur recht so. Er und seine Frau und ihre Kinder und Enkelkinder lebten viele Jahre, und Maibon war genauso stolz auf sein weißes Haar und seinen langen Bart, wie er es einst auf seine kräftigen Arme und Beine gewesen war.
»Steine sind schön und gut, auf ihre Art«, sagte Maibon. »Aber sie wachsen nicht.«
Der wahre Zauberer
ls Prinzessin Angharad aus dem königlichen Hause Llyr ins heiratsfähige Alter kam, schickte ihre Mutter, Königin Regat, im ganzen Königreich nach Bewerbern um die Hand ihrer Tochter aus. Mit ihrem goldroten Haar und den meergrünen Augen war Angharad die schönste aller Prinzessinnen von Llyr; und es gab Viele, die gewiss gern um sie geworben hätten. Doch weil Angharad eine Zauberin aus einem alten und edlen Geschlecht war, war es ihr verboten, jemand anderen als einen Zauberer zu ehelichen.
»Das«, sagte Angharad, »ist das lächerlichste Gesetz, von dem ich je gehört habe. Es ist schlimm genug, hier zu knicksen und da zu knicksen, zu lächeln, wenn man lieber weinen, und die Stirn zu runzeln, wenn man lieber lächeln möchte, und ein interessiertes Gesicht zu machen, wenn man sich in Wirklichkeit zu Tode langweilt. Und jetzt soll ich mir auch noch einen Ehemann vorschreiben lassen?«
»Gesetze sind dazu da, eingehalten zu werden«, antwortete Königin Regat. »Du darfst den heiraten, den dein Herz begehrt und deinen Gemahl frei wählen – natürlich innerhalb derjenigen mit den geeigneten Voraussetzungen.«
»Mich dünkt«, sagte Angharad, »eine der Voraussetzungen sollte sein, dass wir uns lieben.«
»Wünschenswert«, stimmte Königin Regat zu, »aber politisch nicht immer durchführbar.«
Und so befahl Königin Regat, dass nur Zauberer von höchsten Fähigkeiten in der Großen Halle von Burg Llyr als Bewerber vorstellig werden sollten.
Als Erster kam der Zauberer Gildas. Er war feist, mit fleischigen Wangen, die glänzten wie mit Butter gesalbt. Seine Gewänder waren mit Gold durchwirkt und mit Juwelen besetzt. Die Schar der Diener in seinem Gefolge war fast so prächtig gekleidet wie ihr Meister; und bei seinem Anblick erhob sich aus den Reihen der Höflinge ein Raunen der Bewunderung. Die Nase in die Luft gereckt und weder nach rechts noch nach links blickend, marschierte Gildas durch die Große Halle, bis er vor den Thronen Angharads und ihrer Mutter angekommen war, und neigte knapp seinen kahl werdenden Kopf.
»Hochedle Damen«, begann Gildas, »erlaubt mir, auf die Formalitäten zu verzichten. Ihr werdet verstehen, dass meine Zeit kostbar ist. Nur mit größten Schwierigkeiten habe ich an diesem besonders geschäftigen Morgen einige wertvolle Momente erübrigen können. Daher lasst uns zügig in die Verhandlungen über den Abschluss eines Ehekontrakts eintreten; wobei an erster Stelle der Überlegungen die Frage der Mitgift stehen sollte, das heißt, die finanzielle Vorleistung, welche die Prinzessin als ihren Beitrag in die Ehe einbringen wird.«
»Was?«, platzte Angharad heraus, bevor ihre Mutter zu einer Antwort ansetzen konnte. »Ehekontrakt? Mitgift? Finanzielle Vorleistung? Ihr seid den Dingen einen großen Schritt voraus, Meister Gildas. Wenn ich schon einen Zauberer heiraten muss, dann möchte ich zuerst seinen Zauber sehen. Dann werde ich mich entscheiden.«
»Mein liebes junges Mädchen«, gab Gildas hochmütig zurück, »es gibt keinen Grund, Zeit mit unwichtigen Kleinigkeiten zu verschwenden. Gewiss ist mein Ruf mir vorausgeeilt. Meine Kunst steht außer Frage; ich habe einwandfreie Referenzen.«
»Und eine hohe Meinung von Euch selbst – zweifellos wohl verdient«, erwiderte Angharad honigsüß. »Lasst uns daran teilhaben. Zeigt uns ein Beispiel Eurer Fähigkeiten.«
Gildas schniefte und triefte, konnte aber nicht umhin, dem Ansinnen Folge zu leisten. Ungeduldig schnippte er mit den Fingern, worauf ein Diener einen langen Umhang, noch prächtiger als seine anderen Gewänder, herbeibrachte und ihm um die Schultern legte. Von einem zweiten Diener ließ Gildas sich dann einen hohen spitzen Hut aufsetzen, der mit
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