Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
Tiefe.
»Liebst du mich, Tarean?«, rief Moosbeere unvermittelt.
Der Junge machte ein entgeistertes Gesicht. »Was?!«
»Liebst du mich?«, wiederholte das Irrlicht.
»Müssen wir unbedingt jetzt darüber sprechen?«, schrie Tarean.
»Ja!«, erwiderte Moosbeere. Angst, Hoffnung und noch etwas anderes, das der Junge nicht genau bestimmen konnte, lagen auf ihrer Miene. Nie war ihm Moosbeere so menschlich erschienen, so verletzlich – und nie so bezaubernd.
»Ja!«, gestand er ihr. »Dreigötter, ja, ich liebe dich, Moosbeere. Du bist das treuste, wundervollste, schönste und zugleich verrückteste Geschöpf, das mir jemals über den Weg gelaufen ist. Und dafür liebe ich dich. Du magst ein Irrlicht sein und ich ein Mensch, aber das ist meinem Herzen gleich!« Das Prasseln der Lichtfunken nahm ihm nun beinahe die Sicht, und das Tosen des Windes riss ihm die Worte regelrecht von den Lippen.
Doch er sah, dass Moosbeere ihn gehört hatte. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein glückliches Lächeln aus, und mit einem Mal gab es eine zweite magische Druckwelle, als ihre Aura unvermittelt über sie beide hinwegrauschte und sie in einen Schirm aus goldenem Licht hüllte, an dem sich der Sturmwind brach, als habe jemand eine Mauer um sie herum errichtet.
»Dann verzeih mir das, was ich jetzt tun werde«, sagte Moosbeere leise in die plötzliche Stille hinein. Sie beugte sich vor, ergriff sein Gesicht mit beiden Händen und legte ihre Lippen sanft auf die seinen.
Einen Augenblick lang war Tarean vollkommen verwirrt. Es war ein wundervolles, ja, unglaubliches Gefühl. Allerdings schien es ihm weder der rechte Ort noch der rechte Zeitpunkt für solche Zärtlichkeiten zu sein. Ein Kribbeln durchlief seinen Körper, und seine Nackenhaare stellten sich auf. Zunächst hielt er das für eine Folge der geradezu berauschenden Nähe des Irrlichts. Aber auf einmal spürte er, wie sich Moosbeeres Finger auf seinen Wangen verkrampften. Ihre Hände glitten in seinen Nacken und hielten ihn fest, während sich ihr Mund weiter auf den seinen presste. Ein Energieschub schoss durch Tareans Körper, der ihn heftig zusammenzucken ließ. Er ergoss sich in seine Kehle, strömte seinen Hals hinab, verzweigte sich in seiner Brust und jagte dann durch beide Arme des Jungen direkt in den Sternkristall hinein.
Tarean riss die Augen auf, als er erkannte, was das Irrlicht tat. Nein, Moosbeere, schrie es in seinem Inneren. Er riss sich los und wollte zurückweichen, doch seine Gefährtin schlang ihm blitzschnell die Arme um den Hals und zog sein Gesicht zu sich heran. »Lass nicht los«, flüsterte sie ihm ins Ohr, während die Alte Macht aus ihr herausströmte, wie aus einem Gefäß ohne Boden. »Du darfst den Sternkristall nicht loslassen, sonst war alles umsonst.«
Das Gold ihrer Lichtaura flackerte, setzte aus, und Tarean sah, dass der silberne Fluss von Kesrondaias Herz nun beinahe den Rand des Siegels erreicht hatte. Ein fiebriges Zittern durchlief den Körper des Irrlichts.
»Moosbeere, nein. Hör auf«, bettelte Tarean. »Du bringst dich um!«
Das Rumpeln unter ihren Füßen wurde lauter, und erste, feine Risse bildeten sich in der riesenhaften Steinplatte, die rasch größer wurden.
»Es ist schon gut, mein Geliebter«, hauchte seine Gefährtin. »Hab keine Angst. Bring mich nur nach Hause, wenn all das hier vorüber ist.«
Dann presste sie ein letztes Mal ihre Wange an die seine, ihre Hände krallten sich in seinen Rücken, und Tarean ächzte unter dem magischen Schub auf, der über seinen Körper hereinbrach. Im nächsten Moment war der Druck auf einmal verschwunden. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen barst das gewaltige Siegel, das den Eingang zum Kristalltal bis dahin verschlossen hatte, und sie verloren den Boden unter den Füßen. Tarean schrie auf, während er in die Tiefe stürzte, dann wurde alles strahlend hell um ihn. Und dann schwarz.
Er schlug die Augen auf und dachte, er müsse träumen.
Er lag in einem weiten Tal, das von schier unmöglich hohen Bergketten umgeben war. Der weiche Erdboden unter seinem Bauch war von etwas bedeckt, das Moos von grünlich violetter Farbe hätte sein können. Zur Linken und zur Rechten erhoben sich weißliche, grüne und violette Kristallformationen in einen tiefblauen wolkenlosen Himmel, turmhohe, zu fantastischen Formen verwachsene Gebilde, die von innen heraus zu leuchten schienen.
Das Unglaublichste aber war, dass er nicht alleine war. Um ihn herum standen in einem weiten Kreis
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