Tarzan am Main
diese Rückstufung nicht mehr aufholen kann, auch wenn das Label »Bankenstadt« immer noch glitzert und prunkt. Aber die Bankenstadt hat keinen Appeal. Es kommt niemand in das Viertel, um Herrn Kopper beim Aussteigen aus seinem Mercedes anzustaunen.
Und plötzlich ist auch spürbar, dass die Einbetonierung der Stadt deren Lebensqualität mindert. Es gibt – zum Beispiel – im inneren Stadtgebiet nur einen einzigen größeren Park, den Grüneburgpark. Die anderen, kleineren Parks sind tagsüber bis auf den letzten Platz von Müttern mit Kleinkindern in Beschlag genommen, so dass sich auch hier die Enge abbildet – und, auch in den »Grünanlagen«, das Problem des Lärms. Im Sommer strömen nicht nur die Mütter herbei, sondern noch viel mehr junge Leute, die Fußball, Handball und Federball spielen wollen, natürlich mit dauernder Musikbeschallung. Dazwischen breiten sich große ausländische Familien aus, die auf Wolldecken lagern und ihr Sonntagspicknick genießen wollen. Oft rollt der Ball der Fußballspieler zu dicht am Gurkensalat vorbei oder trifft den mit keiner Attacke rechnenden Rücken einer griechischen Mutter. Das ist der Verdruss der Enge, der am Ende bei den Leuten ankommt und sich dort nicht weiter auflöst. Selbst ich, der ich nur lesen will und mit dem Randplatz auf einer Bank zufrieden bin, nehme Anstoß an zu vielen freilaufenden Hunden, an zu vielen vorbeikeuchenden Joggern, an zu vielen rücksichtslosen Radfahrern, an zu vielen schreienden Kindern mit ihren lärmenden Spielzeugen. An eigentlich stillen Sonntagen sieht der Güntersburgpark aus wie eine einzige große Bedürfnisanstalt. Und es ist keine Lösung in Sicht. Die Stadt kann den Platzmangel nicht wegzaubern, man muss sich arrangieren – oder sich in die S-Bahn setzen und in den Taunus verschwinden. Leider tritt die Enge auch an anderen, markanteren Stellen hervor und führt zu wenig charmanten Ergebnissen. So löblich es war, neben dem Museum für moderne Kunst eine weitere Kunsthalle zu bauen, so unbefriedigend ist die städtebauliche Einlösung. Ich spreche von der Schirn Kunsthalle auf dem Römerberg. Der Platzmangel wurde von den Stadtvätern vermeintlich kühn geleugnet. Es gab (es gibt) für ein so mächtiges neues Projekt wie eine Kunsthalle dort effektiv keinen Platz. Von drei Seiten wird der Raum eingegrenzt: Vom Römerberg und seiner historischen Bausubstanz, von einem Geviert mit Überresten römischer Badeanlagen von cirka 75 – 110 n. Chr. und vom Dom und dem Domplatz. Genau in diesen schmalen, langgezogenen Kegel hat der Architekt den ebenso langen Bau der Schirn hineingezwängt. Der Hauptraum der Schirn ist nicht einmal so breit wie ein Gleis auf dem Frankfurter Hauptbahnhof. An Sonntagen stehen die Besucher hier so dicht nebeneinander wie Kauflustige beim Beginn des Sommer-Schluss-Verkaufs. Von der einstigen Idee der Kunsthalle, dass sie den Besuchern genügend Raum anbieten muss, ist hier so gut wie nichts übriggeblieben.
Frankfurt hätte sich an anderen, ebenso eng gebauten Städten ein Beispiel nehmen sollen, zum Beispiel an Bern. Dort hatte man den Mut, das neue Paul-Klee-Zentrum nicht auch noch in die enge Stadt hineinzustopfen, sondern nach außerhalb zu verlagern. Dort sieht es nicht unbedingt verlockend aus, es ist für Fremde auch nicht leicht zu erreichen, aber ringsum ist Platz. Diesen Mut hatten die Frankfurter nicht, jedenfalls noch nicht. Es ist nicht so, dass man die Mutlosigkeit nicht verstehen könnte. Denn in welchen Stadtteil hätte man eine Kunsthalle bauen können? Etwa nach Heddernheim, Bonames oder Sossenheim? Sagen wir es rundheraus: Es gibt keinen halbwegs ansehnlichen Vorort, den die Stadtväter mit einer Kunsthalle hätten beglücken können. Gibt es für Menschen ein paar Orte, die weder überfüllt noch durch zuviel Gestank, Lärm oder Hässlichkeit unmöglich geworden sind? In den neunziger Jahren sprach der Schriftsteller Bodo Kirchhoff in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen diesen Satz aus: »Übermenschliche Kräfte scheinen nötig, um sich in einer Stadt wie Frankfurt seine Heimat zu schaffen.« Ich gebe zu, dass ich in früheren Jahren solche Töne ebenfalls angeschlagen habe. Inzwischen bin ich zurückhaltender. Es ist möglich, in der Stadt ein paar persönliche Winkel zu finden und diesen im individuellen Bewusstsein die Gestalt von individuellen Orten zu geben. Ich war zum Beispiel beglückt, als ich die Karmelitergasse fand. Sie ist deswegen außerordentlich, weil
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