Tarzan am Main
über den linken Unterarm – und drangen in das Springer-Hochhaus ein. Niemand konnte uns aufhalten. Auf dem Stockwerk der »echten« BILD-Redaktion verließen wir den Fahrstuhl und »besetzten« die BILD-Redaktion. Jeder Springer-Redakteur erhielt von uns ein penibel nachgeprüftes Exemplar unserer BILD-Kritik. Wir versuchten, mit den Springer-Redakteuren in ein kritisches Gespräch zu kommen, was uns nicht gelang. Ein pardon -Photograph war mitgekommen und dokumentierte den Zusammenstoß mit den Springer-Leuten. Nein, es war kein »Zusammenstoß«. Die BILD-Redakteure waren viel zu überrascht und konnten in der gegebenen Geschwindigkeit weder das ihrer Arbeit gewidmete pardon -Heft zur Kenntnis nehmen, noch überhaupt den sonderbaren Besuch ihrer Frankfurter Kollegen begreifen. Nach einiger Zeit bat man uns höflich, das Springer-Haus zu verlassen, und wir folgten – ein wenig kleinlaut. An dieser friedlichen Attacke kann man den Übergang vom Journalismus zum Aktionismus leicht erkennen. In gewisser Weise dienten solche Aktionen überwiegend der Beschwichtigung der oppositionellen Gesinnung der Redakteure. Denn ringsum tobten nach wie vor die wirklichen Studentenunruhen; da wollten wir als angestellte Sympathisanten nicht nachstehen. Im Grunde erfüllten wir ein vertrautes Rollenklischee: Wir waren Angestellte des »Systems«, wollten aber dennoch teilhaben an dessen kritischer Leugnung. Dieser Spagat drang damals kaum in unser Bewusstsein vor. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dem Dunstkreis der Provinz entkommen zu sein. Wie die anderen nahm ich fast täglich teil am anstrengenden Eiertanz zwischen Unterwerfung und intimem Aufstand. Zum Beispiel hatte ich fast jeden Monat kleine widerliche Finanzprobleme. Immer mal wieder pumpte ich mir bei einem Kollegen zehn Mark und eine Woche später (bei einem anderen) noch einmal, um den zuvor gepumpten Betrag zurückzahlen zu können. Denn ich hatte, dreihundert Kilometer weiter südlich, im Schwarzwald, eine Ehefrau und ein kleines Kind. Meine Frau war durch und durch Schwarzwälderin und außerdem Feministin und deswegen nicht bereit, ausgerechnet nach Frankfurt umzusiedeln, nur weil ich dort arbeitete. Es war keine Frage, dass das Geld, das ich in Frankfurt verdiente, ihr und dem Kind zustand, auch wenn ich selbst dadurch in eine Dauerbredouille hineinrutschte. Ich hatte erneut den wiederkehrenden Eindruck, dass die Einzelheiten des Lebens nicht zueinanderpassten.
Dabei war ich gern in Frankfurt und mochte meine Arbeit. Ich traf dort – ich glaube: zum ersten Mal – auf Menschen, in denen ich die zu mir passende Gesellschaft von Künstlern erkannte. Es verging keine Woche, ohne dass nicht ein von mir geschätzter Maler, Zeichner, Karikaturist oder Dichter in die Redaktion kam. Sie alle wollten ihre Arbeiten verkaufen. Dabei war der Verlag Bärmeier & Nikel keineswegs ein Kunstverlag. Seine Hauptprodukte waren sogenannte »Schmunzelbücher«, kleinbürgerliche Humorbreviere und beliebte Mitbringsel zu Geburtstagen und Festlichkeiten. Trotz des saloppen Arbeitsstils und der guten Stimmung zwischen den Redakteuren wuchs die Anspannung in der Redaktion. Zum Beispiel hatten die Redakteure nicht das Recht, Beiträge von freien Mitarbeitern anzunehmen oder abzulehnen. Außerdem durften sie über die Qualität ihrer eigenen Texte nicht selbst entscheiden. Jeder Redakteur musste sein Manuskript dem zuständigen Chefredakteur vorlegen. Dieser entschied allein über die Veröffentlichung. Er durfte auch Änderungen, Kürzungen oder Umstellungen eines Beitrags verlangen, und der Redakteur hatte sich zu fügen. Diese Praxis lief nicht immer ohne Demütigung ab und war mit dem antiautoritären Image der Zeitschrift nicht zu vereinbaren – um es milde zu sagen. Natürlich waren die Illusionen der Redakteure das eigentliche Problem. Die Redakteure erschienen als lustige Truppe und tanzten doch nach einer nie gesehenen Pfeife. Die Redakteure waren es, die mit dem Alltag einer verhüllt autoritär geführten Redaktion nicht zurechtkamen. Das Ergebnis war eine Art passiver Widerstand der Redaktion gegen Verlagsleitung und Chefredaktion. Die Redakteure fühlten sich nicht ernst genommen und antworteten mit einem gewissen Schlendrian. Wir kamen morgens nicht mehr allzu pünktlich zur Arbeit, wir dehnten die Mittagspause, wir hielten uns nicht immer an die vereinbarten Ablieferungstermine für die eigenen Texte. Ein gewisser Höhepunkt des Widerstands und der Geringschätzung
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