Tarzan am Main
weggeräumt sind. Es handelt sich überwiegend um Pommes frites, die unschön in den Resten einer Sauce ausharren. Die Resteteller bleiben lange unangetastet. Das Restaurant will oder muss Kosten sparen, das Personal (drei Frauen) ist vollauf damit beschäftigt, neue Portionen und Bier und Limonade auszugeben. Die Bedienerinnen haben nicht einmal Muße, dann und wann über den Rand ihrer Theke hinauszuschauen. Deswegen sehen sie nicht, dass sich um die Essensreste herum längst Tauben niedergelassen haben. Rätselhaft ist allenfalls, warum die am Rand des Lokals sitzenden Krähen die leeren Tische nicht erobern. Auch sie haben Hunger, aber sie halten sich zurück. Es sieht so aus, als hätten sie einfach mehr Stil als die Tauben – aber es sieht nur so aus. Die Tauben picken ohne Unterlass nach den übrig gebliebenen Pommes, die sie leider nicht auf einen Sitz verschlingen können. Sie wirbeln die aus ihrem Schnabel herausragenden Kartoffelstäbchen herum, aber diese fallen nicht wie erwünscht auseinander, knicken nicht ab und werden auch sonst nicht kleiner. Der eine und andere Vogel stößt ohne Absicht ein Stäbchen zurück in die Sauce; das eingetauchte Kartoffelstäbchen bekleckert beim Herumgewirbeltwerden den seidig schimmernden Hals oder das zartfarbene Brustgefieder. Ein paar Kinder haben das Spektakel mitverfolgt und fangen an zu lachen. Leider wissen die Tauben nichts von ihrer kindischen Lächerlichkeit, und sie ahnen auch nicht, dass sie sich mehr und mehr vollkleckern. Es ist sonderbar, dass Stadttiere im Handumdrehen Teile eines allgemeinen Unterhaltungstheaters werden können. Es ist der ewig weiterlaufende Stummfilm des Naturtheaters, dem immer noch die überraschendsten Effekte gelingen. Einige Väter nutzen den Anblick der Vögel und ermahnen ihre Kinder: So siehst du auch gleich aus, wenn du nicht aufpasst. Die Tauben sind sogar erregt. Selten fällt ihnen soviel Nahrung auf einmal zu. Aber da passiert es: Ein älterer Mann mit Handtuch, wahrscheinlich der Besitzer, tritt hervor und verscheucht die Tiere. Ein Vogel ist ungeschickt und streift beim Abflug mit einem Flügel die Sauce. Ein Gejohle bricht aus, als wäre dem Tier eine besondere Nummer gelungen.
Ein Trost während meines Schulwegs waren zwei kleine Kioske, schmale Häuschen, ein älteres Modell aus Holz, das andere aus richtigen Backsteinen gemauert. Es waren überwiegend Schulkinder, die ihren Schulüberwindungsbedarf hier kauften, Objekte der Verzauberung, die es bis in die sechziger Jahre gab, später nicht mehr. Das schlichteste Objekt war die gemeine Zuckerstange, fingerdicke Stäbchen, die es in zwei Größen gab. Die andere Beglückung am Kiosk war der sogenannte Waffelbruch, zerbrochene Waffelstücke, die die Hersteller nicht wegwerfen wollten. Sie sammelten sie in kleinen Tüten, die ein paar Pfennige kosteten. Wenn man Glück hatte, klebte an mancher Waffel noch ein Stück Zuckerzeug. Die dritte Wegzehrung war der Höhepunkt des ganzen Schulwegs, die zehn Pfennige kostete: die Wundertüte. Es war eine zugeklebte Papiertüte von der Größe einer Brieftasche. Ihr Inhalt: zwei oder drei Bonbons, ein Kaugummi, ein Luftballon – und ein winziger Plastikring oder eine Brosche aus Blech, die sich die Mädchen sofort an den Pullover hefteten. Das Angebot der Kioske war sehr klein. Außer dem Kinderkram verkaufte der Mann hinter der Theke ein oder zwei Tageszeitungen und – für die Mütter – zwei Modezeitschriften mit Schnittbögen. Die heutigen Kioske haben mit ihren Vorläufern fast nichts mehr zu tun. Ihr Angebot haben sie ins fast Unermessliche erweitert. Sie führen nach wie vor auch Süßigkeiten, aber Kinder zählen heute zu ihren seltensten Kunden. Die Hauptklientel sind Erwachsene, die keine Zeit für den Supermarkt hatten. Auf einen Einkaufskiosk (so werden sie heute genannt) kann man sich immer verlassen, denn die meisten haben bis 23.00 Uhr geöffnet. Sie bieten alles an, was der Mensch plötzlich braucht: Schnittbrot, Käse, vakuumverpackte Wurst, Postkarten, Zeitschriften, Kugelschreiber, Präservative, Filme, Nylonstrümpfe, Milch und, vor allem, Alkohol, sozusagen für jeden Bedarf und fast in jeder Menge. Man muss nicht einmal genau hinschauen, um sofort zu begreifen, dass die Kioske heute vor allem Alkoholstationen sind. Bis kurz vor Thekenschluss erscheinen Männer mit leeren Taschen und kaufen Bier, Korn, Cognac. Es fällt auf, dass sich die Männer nicht mehr (wie früher) an die Kiosktheke stellen, zwei
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