Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
Reagenzglas simulieren lässt, ist die Entstehung der Urzelle, aus der alle Organismen hervorgingen, bisher nur unvollständig erklärbar. Die Urzelle muss Information enthalten haben, die sich vervielfältigen konnte.
Proteine sind aus verschiedenen Aminosäuren aufgebaut. Die Information, die für den Aufbau und die Vervielfältigung der Proteine nötig ist, liegt nicht in dem Protein selbst. Sie ist vielmehr in den Nucleinsäuren codiert ( Genetik ). Nucleinsäuren sind die einzigen Moleküle, die durch das Phänomen der Basenpaarung in der Lage sind, ihre eigene Replikation zu steuern und die somit identisch kopierbar sind (Abb. 10. 5 ).
Abb. 10. 5 Biologischer Informationsfluss. Bei allen Organismen lassen sich zwei Klassen von Nucleinsäuren unterscheiden: die DNA und die RNA. Die DNA dient überwiegend als Speicher der genetischen Information, während die RNA vorwiegend für die Übertragung der genetischen Information verantwortlich ist. Eine Ausnahme sind manche Viren und Viroide, bei denen anstelle der DNA die RNA auch als Informationsträger dient. Die Replikation sorgt für die dauerhafte Erhaltung und Vermehrung der DNA. Die Expression der genetischen Information erfolgt in zwei Schritten. In dem ersten als Transkription bezeichneten Schritt wird die Information der DNA auf RNA übertragen. Bei der Translation wird die genetische Information in die Aminosäuresequenz eines Polypeptids oder Proteins übersetzt.
In heutigen Zellen besteht zwischen Protein und Nucleinsäuren eine wechselseitige Abhängigkeit: Nucleinsäuren werden einerseits mithilfe von Proteinen synthetisiert, andererseits werden Nucleinsäuren für den Aufbau der Proteine benötigt. In der Evolution müssen Funktion und Information gleichzeitig in einem Informationsträger entstanden sein. Als Erster hat Nobelpreisträger Walter Gilbert 1986 die Hypothese einer RNA-Welt aufgestellt, die unserer komplexen Welt aus RNA, DNA, und Proteinen vorausging. RNA kann Information speichern, übertragen und hat in den Ribosomen katalytische Eigenschaften. RNA-Stränge können sich zu Doppelhelices zusammenlagern und wie Proteine aus Einzelsträngen komplizierte Strukturen bilden.
Auf die Dauer konnte RNA als Informationsträger nicht ausreichen. Auf die RNA-Welt folgte die DNA-Welt . Durch die Bildung der stabileren DNA entstand die Möglichkeit, die Gene eines Organismus auf einem DNA-Strang unterzubringen, so dass ihre Replikation nicht nur mit weniger Kopierfehlern ablief, sondern auch gemeinsam reguliert werden konnte. Der wichtigste Vorteil bestand aber in der Trennung von Replikation und Expression der genetischen Information. Die Expression eines Gens startet mit der Transkription , die nun für jedes Gen oder jede Gruppe von Genen zu einer bestimmten Zeit und in beliebiger Menge unabhängig von der Replikation ablaufen konnte.
Es gibt Kritiker, die bezweifeln, dass sich ein komplexes Molekül wie die RNA aus der Ursuppe bilden konnte. RNA besteht aus einem Zuckerrest (Ribose), einer Phosphatgruppe und einer stickstoffhaltigen Base. Weder in Meteoriten noch in den zahlreichen präbiotischen Experimenten konnten größere Moleküle nachgewiesen werden. Reaktionsfähige Moleküle, die an Prozessen teilnehmen, sind reaktiv genug, sich gleich wieder zu zersetzen. Trotzdem sprechen Forschungsergebnisse für eine RNA-Welt. Die Ribose enthält eine reaktionsfreudige Carbonylgruppe und konnte lange Zeit nicht unter den Bedingungen der präbiotischen Welt synthetisiert werden. Inzwischen ließ sich ihre Bildungexperimentell nachweisen, indem Salze der Borsäure mit organischen Substanzen aus Meteoriten gemischt wurden, und diese Mischung künstlichen Blitzen ausgesetzt wurde. Bor stabilisiert Kohlenhydrate. Borsäurehaltige Mineralien werden auch Bestandteil der frühen Erde gewesen sein.
Die RNA-Polymerase II, die die mRNA transkribiert ( Genetik ), besitzt Fähigkeiten, die aus der RNA-Welt stammen. 2007 konnte experimentell gezeigt werden, dass diese Polymerase nicht nur DNA, sondern auch RNA als Vorlage nehmen kann. Dieses Enzym könnte also während der Evolution die Fähigkeit entwickelt haben, auch DNA als Vorlage für die RNA-Synthese zu nutzen. Diese Befunde belegen, dass eine RNA-Welt existierte, sie sagen jedoch nichts über die Entstehung von Leben.
Kritiker der RNA-Welt-Hypothese postulieren, dass sich vor der Replikation ein Stoffwechsel entwickelt hat. Ein informationsspeicherndes Molekül fehlte, und zunächst liefen in
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