Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tathana Cruz Smith
Vom Netzwerk:
unsichtbaren Pfad zwischen schmalen Birken ab und kämpften sich durch hüfthohen Farn zu einer schwarzen Palisade aus Tannen. Schließlich machte die Gruppe bei einem Kreis rußgeschwärzter Steine halt. Sofort sammelten die Frauen Holz, und die Männer stellten Zelte auf. Arkadi bekam eine windige Zwei-Personen-Angelegenheit aus Nylon und Plastikstangen. Als das Lagerfeuer brannte, wurde ein Festmahl aus Wodka, Wein, Würsten, Rückenspeck und Brot auf Zeitungspapier ausgebreitet.
    Die anderen Radfahrer kannten einander anscheinend alle. Karl beugte sich über das Lagerfeuer und meinte zu Arkadi: »Deine Freundin sollte den Helm abnehmen. Wir sind hier alle Freunde.«
    Tatjana nahm den Helm ab. Niemand ließ sich anmerken, ob er die berühmte Journalistin aus Moskau erkannte hatte.
    »Schon viel besser«, sagte Karl, als wäre eine Schwelle zur Freundschaft überschritten worden.
    Alle griffen zu. Die Radfahrer waren in den Dreißigern und Vierzigern, hauptsächlich gut aussehend, weil sie fit waren. Klim war Buchhalter, Tolja Feuerwehrmann, Ina Lehrerin, Katja Kosmetikerin. Arkadi konnte sich nicht alle Namen merken, vor allem weil ihre Gesichter im Feuerlicht tanzten.
    Ina reichte Arkadi ein Glas Wodka. »Was machst du?«
    »Ich bin Ermittler.«
    »Und diese Dame, nehme ich an, ist eine femme fatale ?«
    »Genau«, sagte Tatjana.
    »Tja, es gibt eine Lagerfeuertradition wilder Geschichten, aber es gibt auch die Tradition der Lieder.« Karl zog aus dem Dunkeln eine Gitarre hervor.
    Sie sangen von Frauen mit dunklen Augen, Wölfen mit gelben Augen, Zigeunern, Seeleuten, weinenden Müttern, Eisenbahnschienen, die sich bis zum Horizont erstreckten, jedes Lied begleitet von einer Runde Wodka. Wangen röteten sich, und als das Feuer runterbrannte, bemerkte Arkadi, dass sich Ina, die Lehrerin, bis zur Taille ausgezogen hatte.
    Karl sagte: »Die Freikörperkultur hat in den baltischen Staaten eine lange Tradition.«
    »Das sehe ich«, erwiderte Arkadi.
    »Manche machen es, manche nicht.«
    Karl hatte auch eine Balalaika mitgebracht, immer eine Einladung an jemanden, Kasatschok zu tanzen wie ein Kosak. Noch halbwegs in der Hocke, sackte Klim um wie ein waidwundes Reh, ein Zeichen für die Klubmitglieder, das Feuer einzudämmen und schlafen zu gehen. Aber nicht für lange. Arkadi hörte, wie Leute von einem Zelt ins andere schlichen.
    Tatjana zog den Reißverschluss ihres Zeltes zu. »Das ist doch verrückt.«
    »Sie wollten aus der Stadt hinaus.«
    »Nicht auf Kosten jeglicher Würde.«
    »Sie können meine haben. Ist zwar angeschlagen, aber Sie können sie haben.«
    Arkadi rollte eine Schaumstoffmatte aus, die den Bodenbelag aus Tannennadeln etwas abfederte. Dunkelheit verstärkte die Geräusche: das Wischen der Tannenzweige, Zirpen der Grillen, Blubbern der Kröten.
    »Ich muss gestehen, dass es einen Nudistenstrand auf der Nehrung gab«, sagte Tatjana. »Als Ludmilla und ich klein waren, haben wir uns dorthin geschlichen und gegafft. Den gibt es wahrscheinlich immer noch.«
    Füße tappten am Zelt vorbei, und ein Zeh wurde angestoßen. Arkadi wartete darauf, dass derjenige weiterging.
    »Kommt mir wie eine schlecht organisierte Orgie vor«, sagte er.
    Sie lachte beinahe.
    »Und morgen?«, fragte er. »Kaliningrad ist gefährlich für Sie, und Moskau ist auch nicht besser.«
    »Ich werde darüber nachdenken. Vielleicht beruhigt sich alles.«
    »Sie sind schon einmal ermordet worden. Ich würde sagen, die Dinge sind zu weit gegangen.«
    »Nicht für Sie. Sie können nach Moskau zurückkehren.«
    »Nein«, erwiderte er, obwohl er erkannte, wie sehr er sich hatte hineinziehen lassen und wie unbedeutend seine Rolle war. Das hier war ihr Drama, und ihm ging auf, dass sie an Flucht nicht interessiert war. Vielleicht war Flucht das Letzte, was sie im Sinn hatte.
    Sie schliefen so weit voneinander entfernt, wie es im Zelt möglich war, doch die Nacht war kühl, und er wachte davon auf, dass sie sich an seinen Rücken geschmiegt hatte. In den anderen Zelten war es still, vom Lagerfeuer drang nur das Knacken der Glut herüber.
    Der Name des Vollstreckers war Fedorow. Er war kleiner und älter, als Schenja erwartet hatte, und trug den dreiteiligen Anzug und das Menjoubärtchen eines Schauspielers aus der Stummfilmzeit. Obwohl Viktor ihn mit Handschellen am Heizkörper angekettet hatte, gab sich der Mann immer noch profihaft.
    »Mir gefiel der Auftrag nicht. Kinder umzubringen, behagt mir nicht. Ich sollte nur auf sie aufpassen.

Weitere Kostenlose Bücher