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Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Cruz Smith
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Wasser, noch mehr Sand.«
    »Sie sagten, es gebe eine Grenze auf der Nehrung?«
    »So was in der Art.«
    »Wie lange fährt man dorthin?«
    »Zehn, fünfzehn Minuten. Die nördliche Hälfte der Nehrung gehört zu Litauen, die südliche zu Russland. Man behauptet, dort gebe es Elche. Hab nie einen gesehen. Nebel, ja. Elche, nein.« Maxim stampfte mit den Füßen. »Sie wollten nur mit Tatjanas Schwester sprechen und dann nach Moskau zurückfliegen. Stattdessen sind wir auf einer Sandbank mit einer einspurigen Straße gelandet. Im Sommer gibt es hier Sonnenanbeter, Kinder mit Drachen, Nudisten mit Volleybällen. Aber um diese Jahreszeit ist alles leer und verdammt trostlos. Warum sind wir hier?«
    »Wir sind hier, weil sowohl Joseph Bonnafos als auch Tatjana hier waren. Die waren nicht in Moskau.«
    »Und?«
    »Und wenn Sie Ihren Haustürschlüssel an der Hintertür fallen lassen, suchen Sie dann an der Vordertür, weil dort das Licht besser ist? Außerdem schaue ich mir die Dinge gerne an.«
    »Sie wirken eher wie ein Jagdhund, der Witterung aufnimmt.«
    Arkadi fasste das als Kompliment auf. »Warum gehen Sie nicht zum Auto zurück?«
    »Sie werden sich verlaufen.«
    »Ist schwer, sich auf einer Sandbank zu verlaufen. Warum haben Sie sich bereit erklärt, mein Führer zu sein?«
    »Da war ich betrunken. Glauben Sie mir, um diese Jahreszeit kommt niemand hierher.«
    »Dann ist es ein guter Ort, sich mit jemandem zu treffen.«
    »Mit wem? Wozu? Ich weiß nicht, ob ich so viel Spekulation auf nüchternen Magen vertrage.«
    Das waren gute Fragen, musste Arkadi zugeben. Leutnant Stasow von der Kaliningrader Polizei hatte die versprochenen Fotos von der Leiche oder dem Fundort nie geschickt. Hoffentlich wusste er nicht, dass Arkadi in Kaliningrad war.
    »Die Kurische Nehrung ist schmal, aber sie ist lang«, sagte Maxim. »Man kann alles im Sand verstecken. Ja, der Sand wird sogar die Arbeit für Sie übernehmen.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Das hier sind sogenannte Wanderdünen. Sie löschen Straßen aus, dringen in Häuser ein und verbergen Beweise.«
    Die Vorstellung einer beweglichen Landschaft war faszinierend. Das einzige Bauwerk, das Arkadi am Strand sah, war ein verrammelter Kiosk mit Plakaten für Rockbands und Discos, doch wer weiß, was die Natur sonst noch für sich eingefordert hatte. Der einzige andere Mensch in Sichtweite war eine derart in Schals und Tücher gehüllte Gestalt, dass er ein Pilger aus dem Mittelalter hätte sein können. Er zog einen Schlitten mit einer Strandgutladung aus Treibholz, Flaschen und Dosen hinter sich her.
    Die Flutlinie lockte Arkadi weiter. Er hätte nicht sagen können, ob der Nebel dichter wurde oder sich lichtete und ob er sich einbildete, Bewegung zwischen den Kiefern zu sehen, von denen die Dünen begrenzt wurden. Ein scheuer Elch? Mit einem Blitzen wurde ein Fernglas auf ihn gerichtet. Das Fernglas verschob sich und richtete sich den Strand hinunter auf ein Spitzengeflecht aus Tang, das die Ebbe zurückgelassen hatte. Zwei Mädchen, die das Näherkommen von Arkadi und Maxim nicht zu bemerken schienen, standen bis zu den Knöcheln im Wasser und harkten den Sand mit Rechen durch. Barfuß, mit sonnengebleichtem Haar und dürftigen Kleidchen, sahen sie wie die Überlebenden eines Schiffbruchs aus, und obwohl sie in der Kälte zitterten, untersuchten sie die Kiesel bei Kerzenlicht und steckten die ausgewählten in einen Lederbeutel.
    »Bernstein«, sagte Maxim.
    Ein Junge kam zwischen den Kiefern hervor und überquerte den Strand, ein Fernglas in der einen und eine Leuchtpistole in der anderen Hand. Ohne Maxim und Arkadi zu beachten, rief er den Mädchen zu, sich zu beeilen.
    Arkadi trat ihm in den Weg. »Können wir reden?«
    Der Junge hob die Leuchtpistole. Solche Pistolen waren nicht auf Genauigkeit ausgelegt, aber der rote Phosphor in einer Leuchtpatrone brannte mit zweitausendfünfhundert Grad, was sie durchaus zur Waffe machte.
    »Wowa!«, rief eines der Mädchen.
    »Komme!«, rief der Junge. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Kiosk und den daran vorbeifahrenden Kastenwagen, auf dessen Dach ein erleuchtetes Schwein zu schweben schien. Ein glückliches rosa Schweinchen. Arkadi konnte den Fahrer nicht sehen, aber es war jemand, der genug Luft aus den Reifen gelassen hatte, um auf weichem Sand fahren zu können.
    Die Mädchen liefen los, und der Kastenwagen folgte ihnen, schwankend wie ein kleines Boot auf dem unebenen Strand. Als der Wagen die Scheinwerfer

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