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Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Cruz Smith
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in den Schoß geworfen. Wie viele schaffen es, cool zu bleiben? Ich habe Gerüchte gehört.« Alexi wandte sich an Lotte. »Ehrlich, hast du gedacht, er wäre nur ein gewöhnlicher Junge? Er ist wie Renko, eine Zeitbombe.«
    »Was wollen Sie?«, fragte Schenja.
    »Ich will das Notizbuch. Finde das Notizbuch.«
    »Ich weiß nicht, wie es aussieht.«
    »Du wirst es erkennen.«
    »Schauen Sie doch selbst nach.« Schenja ging zum Schrank und öffnete ihn. Schuhkartons quollen heraus, und aus jedem Karton ergossen sich Notizbücher auf den Boden. »Ich habe Hunderte Schachpartien, Eröffnungen, Situationen. Was hätten Sie gerne? Ruy Lopez, Sizilianische, Angenommenes Damengambit, Abgelehntes Damengambit. Mir gefällt die Sizilianische am besten.«
    »Wovon redest du?«, fragte Alexi.
    »Wir haben Ihr verdammtes Notizbuch nicht.« Schenja griff in den Schrank und warf noch mehr Kartons auf den Boden. Er wusste, dass er eingeschüchtert sein sollte. Aber vorerst fühlte er sich mutig und sah die Welt durch Lottes grüne Augen.
    Der Strom in Maxims Wohnhaus war ausgefallen, und er rezitierte bei Kerzenlicht.
    Pferde sind Aristokraten.
    Köpfe erhoben und in Seide gekleidet,
    Getreten, gepeitscht, die Ohren aufgestellt
    Aus Furcht vor Leoparden,
    Während ihre wahren Feinde vom Ministerium für
    Leichtindustrie rufen: »Mehr Klebstoff!«
    »Wunderbar«, sagte Arkadi.
    »Vielen Dank. Ich habe ein Tiergedicht für jeden Buchstaben des Alphabets geschrieben. Erinnern Sie sich? Ich brauche einen Aufschwung.«
    Arkadi öffnete ein Fenster. »Sie brauchen eine neue Leber.«
    Er half Maxim vom Boden hoch und lenkte ihn in Richtung Schlafzimmer. Obwohl die Wodkaflasche noch halb voll war, erklärte Arkadi sie zum Gewinner und kickte sie unter die Couch.
    »Wie hat Ihnen die Blutwurst geschmeckt?«, fragte Maxim.
    »Ich versuche nicht daran zu denken.«
    »Wie kommen wir voran?« Maxim tastete sich zum dunklen Flur.
    »Wir machen Fortschritte.«
    »Sie haben Ihren Flug verpasst. Das tut mir leid.«
    »Ist schon in Ordnung. So können Sie mich im Auge behalten. Das ist es doch, was Sie tun, nicht wahr?«
    Wenn Maxims Wohnzimmer ein Tunnel war, dann war sein Schlafzimmer ein männlich stinkendes Loch, eine berauschende Mischung aus geschlossenen Jalousien, saurem Bier und Aftershave. Er war ein großer Mann und wurde doppelt so schwer, als ihm die Sinne schwanden. Arkadi suchte in der Dunkelheit nach einem Platz, um ihn abzuladen, und kippte ihn schließlich auf die Umrisse eines Bettes.
    Für sich grub Arkadi ein Loch auf der Couch und machte es sich bequem, nachdem er Bücher, Kleingeld und Hundekuchen beiseite geschoben hatte.
    Schenja sammelte Notizbücher auf, und Lotte sortierte. Eine Stunde, nachdem Alexi die Wohnung verlassen hatte, zitterten ihre Hände immer noch. Es gab mehr aufzuräumen, als nur Notizbücher in die richtigen Kartons zu packen, doch die Aufgabe war an sich ein Heilungsprozess. Die Schachfiguren schienen es tröstlich zu finden, in ihren Samtbeutel zurückzukehren.
    Das einzige unberührte Notizbuch war das neben dem Schachbrett, wo es den ganzen Abend gelegen hatte. Als Lotte es zuklappte, merkte sie, dass sie auf den hinteren Deckel schaute, und sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass das Notizbuch von hinten benutzt worden war. Vorne war hinten, oben war unten, und, in der richtigen Richtung gelesen, waren die Seiten voll mit Kreisen, Pfeilen, Strichmännchen, durchsetzt mit Hieroglyphen, Karten und Verkehrsschildern in einem anscheinend sinnlosen Wirrwarr aus Kurzschrift und Code.

21
    D ie schwere Matrosenjacke bis zum Hals zugeknöpft gegen den Wind, stapfte Arkadi mit großen Schritten eine Düne hinunter zum Strand. Maxim plagte sich hinter ihm ab, schlurfte durch einen Morgennebel so dick wie Watte.
    »Sie wirken unanständig fröhlich«, keuchte Maxim.
    Der Strand war eine Mischung aus Kieseln und Sand, auf dem sich Treibholz und Tang gesammelt hatten. In Gezeitentümpeln tanzten winzige Krebstiere wie Stecknadelköpfe hin und her. Das Kreischen der Möwen erhob sich über die tosende Brandung. Wie konnte man hier nicht fröhlich sein?
    »Mögen Sie den Strand nicht?«, fragte Arkadi. »Waren Sie nie mit Ihrem Vater hier?«
    »Mein Vater ließ sich nur selten draußen erwischen. Nebel wie diesen nannte er ›Erbsensuppe‹. Genau das ist es. ›Erbsensuppe‹. Warum wollten Sie unbedingt hierherkommen?«
    »Nur um ein Gefühl für diesen Ort zu bekommen.«
    »Das ist überall gleich. Sand,

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