Tatort Oktoberfest (German Edition)
sie ihn oder Nadine sehen, stoßen sie kurze, spitze Schreie aus. Anfangs bekam er jedes Mal einen Heidenschreck. Wenn Nadine ihm nicht so lieb zugezwinkert hätte, hätte er wohl schon mal den Mund aufgemacht und ihm wäre ein „Wat soll denn dat? Bleiben Se doch cool“ herausgerutscht.
„Ist er nicht süß und herzig, unser Ludwig?“ behaupten sie stets. „Woher wissen die meinen Namen?“ mokierte er sich noch beim ersten Frager etwas dümmlich. „Scherzkeks, du bist doch Ludwig II.“, lachte ihn Nadine aus. Inzwischen genießt er seine Rolle. Ist halt doch etwas anderes, als nur wie bei der Schulaufführung als Bayernkönig würdevoll von einem zum Thron umgerüsteten Sessel aus dem Spiel der anderen zuzusehen. Außerdem gab es dafür keine Kohle, und ein Mädchen wie Nadine war ebenfalls nicht mit von der Partie.
Allerdings hat sie ihn im Augenblick hier einfach stehen lassen wie ein vergessenes Theaterrequisit. Was soll’s. Er ist auf der Roseninsel, die sein Idol, der richtige König Ludwig, geliebt hat. Verständlich, findet Ludwig. So eine Insel könnte ihm auch gefallen, am besten in der Havel. Im Sommer würde er alle seine Freunde einladen, und sie könnten baden. Der Raum, eher ein kleiner Saal, sagt ihm ebenfalls zu. Allerdings würde er eine andere Bemalung wählen – vielleicht ein paar schöne Pferdebilder? Mit den auf die wassergrünen Wände gemalten Figuren kann er nicht viel anfangen. Lauter alte Griechen? Oder Römer? Während er rätselt, was oder wen die halbnackten Gestalten darstellen sollen, überfällt ihn eine angenehme Stimme von hinten. „Na, bewundert der König die Götter? Dionysos, den Weingott, Hermes als Entenjäger, Aphrodite mit den Perlen oder über dem schönen Kamin aus Keramik von Villeroy & Boch, Zeus, den Göttervater mit Hera, seiner Frau und Schwester. Ja, bei den griechischen Göttern war alles möglich. Oben im eigentlichen Speisesaal findet Ihre Majestät noch ein paar mehr Abbildungen und auch den Schreibtisch mit dem Geheimfach, in dem Ihre Majestät, die Kaiserin von Österreich, manchmal Briefe oder Gedichte für Sie versteckte.“ Bei diesen Worten zwinkert ihm die Besitzerin der Stimme verschwörerisch zu, und ihre Augen lächeln ob des Scherzes.
„Ick weeß schon, det mit Griechenland und dem bayerischen König da, det habe ick gelesen und och det mit de Gedichte von der Sisi, Adler und Möwe und so.“
„Ah, unser Ludwig weiß Bescheid und ist ein waschechter Berliner, sieh an.“
Am liebsten würde Ludwig die ältere Dame mit den weißen Haaren, die so gut Bescheid weiß, bitten, ihm mehr über die Götter und das Haus zu erzählen und fragen, warum die Zeichnung mit Pompeji zu tun hat. Aber als alle Fotografen an ihnen vorbei zur Gartenterrasse stürmen, ist sie verschwunden. Dafür ist Nadine wieder aufgetaucht und stupst ihn in die Seite. Alle Gespräche versiegen. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die sich jetzt öffnende Flügeltür, in der eine Frau erscheint und die Menge lächelnd überblickt. „Die Gastgeberin. Ich bin mit ihrer Cousine in die gleiche Klasse gegangen, aber habe sie schon ewig nicht mehr gesehen – nur im Fernsehen, bei ihren Shows. Sie heißt Claudia“, flüstert ihm Nadine hinter vorgehaltener Hand zu. Sie reckt ihren Hals. Unnötig. Im nächsten Moment steht die Erscheinung, diese überirdische Schönheit, die gerade noch lächelnd im Türrahmen lehnte, direkt neben ihnen.
„Lächeln, Claudia, ja, so ist’s gut, ja, und jetzt drehen und jetzt etwas zurück, ja, wundervoll, das wird gut, du kommst einfach Klasse rüber.“
Claudia schmunzelt. Sicher kommt sie gut rüber, schließlich hat sie jedes Detail geplant und nichts dem Zufall überlassen. Ihr Kleid von Rena Kurzer, etwas trachtig, aber noch nicht Tracht, mit einem Ausschnitt, der alles zeigen würde, wäre da nicht die Gaze, die Schicklichkeit wahrt. Die Schuhe von Manolo Blahnik – bereits eingelaufen, versteht sich. Und ihre Friseuse, der Schatz, hat gut daran getan, sie zu überreden, ihre halblangen Haare mit falschem Haar zu verflechten, so dass sie mit ein paar Sternchen im Haar der Sisi Konkurrenz macht. Dabei hat sie darauf bestanden, nicht süßlich oder übermäßig herausgeputzt zu erscheinen. Sorgfältig hergestellte Natürlichkeit muss sie ausstrahlen, dann wird sie gewinnen. Sie wird gewinnen – das ist zwar noch ihr Geheimnis, aber spätestens in einer Woche werden alle überzeugt sein, dass sie … Alles muss leicht aussehen, wie
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