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Tausend strahlende Sonnen

Tausend strahlende Sonnen

Titel: Tausend strahlende Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Erst wenn sie ihn gehen und seine Zimmertür öffnen und schließen hörte, löste sich die Anspannung in ihr.
    Dann, eines Abends, blieb er, nachdem er die Zigarette ausgedrückt hatte, im Türrahmen stehen, deutete mit einer Kopfbewegung auf ihren Koffer und sagte: »Wirst du das Ding jemals auspacken?« Er verschränkte die Arme über der Brust. »Ich war darauf eingestellt, dass du ein wenig Zeit brauchst. Aber das ist absurd. Du bist jetzt eine Woche hier und … Kurz und gut, ich erwarte, dass du dich ab morgen wie eine Ehefrau aufführst. Fahmidi? Haben wir uns verstanden?«
    Mariams Zähne fingen an zu klappern.
    »Ich will eine Antwort hören.«
    »Ja.«
    »Gut«, sagte er. »Was stellst du dir eigentlich vor? Glaubst du etwa, hier in einem Hotel untergebracht zu sein? Hältst du mich für eine Art Gastwirt? Nun, es … Oh. Oh. La illah u ilillah . Was habe ich dir gesagt zum Thema weinende Frauen? Mariam. Was habe ich dazu gesagt?«
    Als am nächsten Morgen Raschid zur Arbeit aufgebrochen war, packte Mariam den Koffer aus und verstaute ihre Sachen in der Kommode. Danach schöpfte sie Wasser aus dem Brunnen und putzte die Fenster in ihrem Schlafzimmer und im Wohnzimmer. Sie fegte die Böden und entfernte das Spinnengewebe aus den Ecken. Um das Haus zu lüften, sperrte sie sämtliche Fenster auf.
    In einem Topf weichte sie drei Tassen Linsen ein, schnitt einige Möhren und zwei Kartoffeln klein und gab sie dazu. Sie suchte nach Mehl und fand es in einem der Schränke hinter einer Reihe verschmierter Gewürzdosen. Dann knetete sie einen Teig, wie es ihr von Nana beigebracht worden war, walkte ihn mit den Handballen aus, faltete den Fladen zusammen, drehte ihn um und walkte ihn wieder aus. Als sie damit fertig war, stäubte sie den Teig mit Mehl ein, wickelte ihn in ein feuchtes Tuch, warf eine hijab über und machte sich auf den Weg zum öffentlichen tandoor .
    Raschid hatte ihr den Weg beschrieben – die Straße entlang, dann links und sofort wieder rechts –, doch Mariam brauchte nur der Schar von Frauen und Kindern zu folgen, sie hatten dasselbe Ziel. Die Kinder schwirrten um ihre Mütter herum oder rannten eilig voraus. Die Hemden, die sie trugen, waren an zahllosen Stellen geflickt, die Hosen entweder zu groß oder zu klein und die Sandalen mit verschlissenen Bändern befestigt. Manche Jungen trieben alte Fahrradreifen mit Stöcken vor sich her.
    Die Mütter gingen in Gruppen zu dritt oder viert; einige trugen Burka, andere waren unverschleiert. Mariam hörte ihr schrilles Geplapper und helles Lachen. Den Kopf gesenkt, schnappte sie Bruchstücke der Gespräche auf, die sich offenbar alle um Kinderkrankheiten oder faule, undankbare Ehemänner drehten.
    »Als ob das Essen von allein entstehen würde.«
    » Wallah o billah , nicht einen Moment kommt man zur Ruhe!«
    »Und dann sagt er zu mir, ich schwör’s, sagt er doch tatsächlich zu mir …«
    Von allen Seiten waren Klagen zu hören, die aber seltsam heiter klangen und kein Ende nehmen wollten. So ging es in einem fort, die Straße entlang, um die Ecke und in der Schlange vorm tandoor . Es ging um Männer, die Geld verspielten, um Männer, die von ihren Müttern schwärmten, für ihre Frauen aber keine rupia übrig hatten. Mariam fragte sich, wie es sein konnte, dass so viele Frauen ein ähnlich schweres Los teilten wie sie und alle mit solch unausstehlichen Männern verheiratet waren. Oder belauschte sie da nur eine Art Spiel unter Frauen, von dem sie nichts verstand, ein alltägliches Ritual, das so gewöhnlich war wie das Einweichen von Linsen oder Kneten von Teig? Erwarteten die Frauen womöglich, dass sie sich an diesem Spiel beteiligte?
    Unter den wartenden Frauen vor dem tandoor sah sich Mariam von allen Seiten beäugt; es wurde getuschelt. Ihre Hände fingen an zu schwitzen. Womöglich, so dachte sie, wussten schon alle, dass sie als harami zur Welt gekommen war, als Schande für ihren Vater und seine Familie, dass sie ihre Mutter verraten und sich selbst in Ungnade gebracht hatte.
    Mit einem Zipfel ihres hijab wischte sie den Schweiß von der Oberlippe und versuchte, Fassung zu bewahren.
    Über mehrere Minuten blieb sie unbehelligt.
    Dann tippte ihr jemand auf die Schulter. Mariam drehte sich um und schaute in das hellhäutige, fast kreisrunde Gesicht einer Frau, unter deren hijab kurzes, drahtiges Haar zum Vorschein kamen. Die Unterlippe ihres vollen Mundes hing ein wenig herab, als würde sie von dem großen dunklen Leberfleck, der an der

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