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Tausend strahlende Sonnen

Tausend strahlende Sonnen

Titel: Tausend strahlende Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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logari – dröhnte ihr in den Ohren. Die Köche, dünne Burschen, schürten mit der einen Hand das Feuer unter den Spießen und versuchten mit der anderen, die Fliegen zu vertreiben. Mariam war zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Restaurant und fand es anfangs seltsam, unter so vielen Fremden zu sitzen und die Burka zu lüften, um sich einen Happen in den Mund zu stecken. Sie verspürte einen Anflug derselben Angst, die sie vor dem öffentlichen tandoor ausgestanden hatte, sah sich aber ein wenig beruhigt durch Raschids Anwesenheit, und nach einer Weile waren ihr die Musik, der Rauch, ja selbst die vielen Menschen erträglich. Zu ihrer eigenen Überraschung fand sie nun die Burka durchaus angenehm zu tragen. Das Gitternetz war wie ein Fenster, durch das sie selbst alles beobachten konnte, ohne den neugierigen Blicken anderer ausgesetzt zu sein. Sie brauchte sich keine Sorgen mehr darum zu machen, dass man sie wiedererkennen und die schändlichen Geheimnisse ihrer Vergangenheit durchschauen könnte.
    Unterwegs machte Raschid sie auf wichtige Gebäude aufmerksam, auf die amerikanische Botschaft und das Außenministerium. Er deutete auf Autos und nannte die Namen ihrer Hersteller: sowjetische Wolgas, amerikanische Chevrolets, deutsche Opel.
    »Welches gefällt dir am besten?«, fragte er.
    Nach kurzem Zögern zeigte Mariam auf einen Wolga. Raschid lachte.
    Kabul war sehr viel dichter bevölkert als das, was Mariam von Herat gesehen hatte. Bäume und von Pferden gezogene garis sah man hier nur vereinzelt; dafür gab es jede Menge Autos, höhere Gebäude, zahllose Verkehrsampeln und asphaltierte Straßen. Die Stadtbewohner sprachen in einem eigentümlichen Dialekt. Jo , was so viel wie »lieb« bedeutete, hieß hier jan ; aus hamshireh – Schwester – wurde hamshira .
    Raschid kaufte einem Straßenhändler zwei Becher Eiscreme ab. Für Mariam war es das erste Mal, dass sie Eis aß, und dass es so lecker schmeckte, hätte sie kaum für möglich gehalten. Obenauf lagen klein gehackte Pistazien, der Boden bestand aus Puffreis. Genüsslich löffelte sie ihren Becher leer und staunte über den süßen Schmelz auf der Zunge.
    Sie gelangten an einen Ort, der Kocheh-Morgha hieß, Hühnerstraße. Es war ein enger, überfüllter Basar am Rand jenes Wohnviertels, von dem Raschid sagte, dass es zu den vornehmeren Teilen Kabuls zählte.
    »Da wohnen die ausländischen Diplomaten, reiche Geschäftsleute und Mitglieder der Königsfamilie. Solche Leute. Keine Gegend für unsereins.«
    »Ich sehe hier gar keine Hühner«, sagte Mariam.
    »Sie sind ungefähr das Einzige, was man in der Hühnerstraße nicht finden kann«, lachte Raschid.
    Rechts und links der Straße reihte sich ein Laden oder Verkaufsstand an den anderen. Verkauft wurden unter anderem Lammfellkappen und vielfarbige chapans . Raschid bewunderte in einem der Geschäfte einen schmuckvoll ziselierten silbernen Dolch, in einem anderen ein altes Gewehr, das, wie ihm der Verkäufer versicherte, noch aus dem ersten Krieg gegen die Briten stammte.
    »Und ich bin Mosche Dajan«, murmelte Raschid und verzog das Gesicht zu einem Lächeln, von dem Mariam annahm, dass es ihr gewidmet sei. Ein ganz privates Lächeln unter Eheleuten.
    Sie kamen an Teppichhändlern vorbei, an kleinen Handwerksbetrieben, Zuckerbäckern, Blumenläden und Geschäften, in denen Herrenanzüge und Damenkleider verkauft wurden. Hinter Vorhängen aus dünner Spitze sah Mariam junge Frauen Knöpfe annähen oder Hemdkragen bügeln. Ab und zu grüßte Raschid einen der Händler, mal auf Farsi, mal auf Paschto. Wenn sie sich die Hand gaben und auf die Wange küssten, hielt Mariam immer ein paar Schritte Abstand. Kein einziges Mal winkte Raschid sie zu sich, um sie einem Bekannten vorzustellen.
    Vor einer Stickerei forderte er sie auf, draußen auf ihn zu warten. »Ich kenne den Besitzer«, erklärte er, »und will ihm nur kurz Salaam sagen.«
    Mariam wartete auf dem überfüllten Gehweg. Autos krochen durch die verstopfte Hühnerstraße und verscheuchten Kinder und Esel, die sich nicht rühren wollten, mit lautem Gehupe. Händler standen mit gelangweilter Miene hinter ihren Verkaufsständen, rauchten oder spuckten in Näpfe aus Messing. Wenn sich jemand für ihre Stoffe oder pelzbesetzten poostin -Mäntel zu interessieren schien, tauchten ihre Gesichter aus dem Halbdunkel auf.
    Mariams ganz besondere Aufmerksamkeit aber galt den Frauen.
    Im Vergleich mit den Frauen aus ärmeren Nachbarschaften wie jenem Viertel,

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