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Tausend strahlende Sonnen

Tausend strahlende Sonnen

Titel: Tausend strahlende Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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darauf anlegen, verheiratete Frauen zu entehren. So. Das wär’s.«
    Er hustete.
    »Wenn ich nicht zu Hause bin, macht Mariam stellvertretend für mich Augen und Ohren auf.« Er warf Mariam einen flüchtigen Blick zu, der so hart war wie ein Tritt mit eisenbeschlagener Schuhspitze. »Nicht, dass ich misstrauisch wäre. Im Gegenteil. Ich halte dich für sehr viel klüger, als man es von einer so jungen Frau erwarten kann. Aber du bist nun einmal eine junge Frau, Laila jan , eine dokhtar e jawan , und junge Frauen neigen dazu, übermütig zu werden. Wie dem auch sei, auf Mariam ist Verlass. Und falls es zu einem Fehltritt kommen sollte …«
    Er redete und redete. Mariam beobachtete das Mädchen aus den Augenwinkeln, während Raschids Forderungen und Ansprüche über sie hereinbrachen wie die Raketen auf Kabul.
    Am nächsten Tag war Mariam im Wohnzimmer damit beschäftigt, einige von Raschids Hemden zusammenzufalten, die sie kurz zuvor von der Wäscheleine im Hof abgenommen hatte. Als sie eines der Hemden zur Hand nahm und in der Luft ausschüttelte, sah sie plötzlich das Mädchen in der Tür stehen, die Hände um ein Teeglas gewölbt.
    »Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte das Mädchen. »Verzeihung.«
    Mariam schaute sie nur an.
    Sonnenlicht fiel dem Mädchen aufs Gesicht, auf die großen grünen Augen, die glatte Stirn, auf die hohen Wangenknochen und die kräftigen, wunderschön geschwungenen Augenbrauen, um die Mariam es am meisten beneidete. Sein helles, in der Mitte gescheiteltes Haar war an diesem Morgen ungekämmt.
    Das Mädchen hatte die Schultern eingezogen, und an der Art, wie es das Glas hielt, glaubte Mariam erkennen zu können, dass es nervös war. Mariam hatte den Eindruck, dass es mit sich rang.
    »Die Blätter werden braun«, sagte das Mädchen in geselligem Tonfall. »Schon gesehen? Der Herbst ist meine liebste Jahreszeit. Ich mag den Geruch, der entsteht, wenn die Leute das Laub in ihren Gärten verbrennen. Meine Mutter liebte den Frühling am meisten. Kanntest du meine Mutter?«
    »Nicht wirklich.«
    Das Mädchen hielt die Hand hinters Ohr. »Wie bitte?«
    Mariam sprach lauter. »Ich sagte, nein. Ich kannte deine Mutter kaum.«
    »Oh.«
    »Willst du irgendwas?«
    »Mariam jan . Es ist wegen gestern Abend. Er hat da Dinge gesagt …«
    »Darüber wollte ich auch mit dir sprechen«, fiel ihr Mariam ins Wort.
    »Ja, bitte«, antwortete das Mädchen erwartungsvoll und trat einen Schritt vor. Es wirkte fast erleichtert.
    Draußen trällerte eine Goldamsel. Jemand schob einen Karren. Mariam hörte die Deichsel knarren und die eisernen Radreifen klappern. In der Nähe krachten Schüsse, zuerst einer, gefolgt von dreien, dann weiteren.
    »Ich werde nicht deine Dienerin sein«, sagte Mariam. »Das kommt überhaupt nicht in Frage.«
    Das Mädchen fuhr zusammen. »Nein. Natürlich nicht.«
    »Es soll wohl sein, dass du in diesem Palast die malika bist und ich eine dehati , aber ich werde keine Befehle von dir entgegennehmen. Ausgeschlossen. Du kannst dich bei ihm beschweren, und vielleicht wird er damit drohen, mir die Kehle aufzuschlitzen. Aber ich werde nicht deine Dienerin sein. Hast du gehört?«
    »Ja. Ich habe auch gar nicht erwartet …«
    »Und wenn du glaubst, du könntest mich mit deinem hübschen Aussehen vertreiben, liegst du falsch. Ich war hier zuerst. Ich lasse mich nicht rauswerfen, schon gar nicht von dir.«
    »Das will ich doch gar nicht«, erwiderte das Mädchen kleinlaut.
    »Wie ich sehe, sind deine Verletzungen verheilt. Es hält dich also nichts mehr davon ab, mir im Haus zur Hand zu gehen.«
    Das Mädchen nickte eifrig und verschüttete dabei ein paar Tropfen Tee, was ihm aber nicht auffiel. »Ja, das ist der andere Grund, warum ich gekommen bin; dafür zu danken, dass du dich um mich gekümmert hast.«
    »Leider«, versetzte Mariam. »Ich hätte es nicht getan, wenn ich gewusst hätte, dass du mir den Mann ausspannst.«
    »Ausspannst …?«
    »Ich werde nach wie vor kochen und das Geschirr spülen, die Wäsche machen und die Zimmer ausfegen. Mit allen anderen Aufgaben werden wir uns täglich abwechseln. Und noch etwas. An deiner Gesellschaft ist mir nicht gelegen. Ich will sie nicht. Ich will allein sein. Du wirst mich in Ruhe lassen, und ich lasse dich in Ruhe. Nur so kommen wir miteinander klar. Das sind die Regeln.«
    Während Mariam dies sagte, hämmerte ihr das Herz; der Mund war wie ausgedörrt. So schroff hatte sie noch nie gesprochen, noch nie hatte sie ihren Willen so

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