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Tausend strahlende Sonnen

Tausend strahlende Sonnen

Titel: Tausend strahlende Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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später. »Ich habe mal gesehen, wie sie so was herstellen. Sie schmelzen die Münzen ein, die ihnen vor die Füße geworfen werden, und machen Schmuck daraus. Soll er dir doch Gold mitbringen, dein teurer Vater. Das wär mal was.«
    Wenn Jalil gehen musste, stand Mariam immer in der Tür und schaute ihm nach, bedrückt von dem Gedanken an die Woche, die wie ein riesiger, unverrückbarer Gegenstand zwischen ihr und seinem nächsten Besuch stand. Wenn er sich auf der Lichtung entfernte, hielt sie so lange wie möglich die Luft an und betete im Stillen, dass Gott ihr mit jeder Sekunde, die sie ohne Atem auskäme, einen weiteren Tag mit Jalil gewähren möge.
    Nachts lag sie auf ihrer Pritsche und fragte sich, wie es in seinem Haus in Herat aussehen mochte. Sie fragte sich, wie es wohl wäre, wenn sie mit ihm zusammenlebte und ihn tagtäglich sehen könnte. Sie stellte sich vor, ihm, wenn er sich rasierte, ein Handtuch zu reichen. Sie würde Tee für ihn aufsetzen, abgerissene Knöpfe wieder annähen. Sie würden zusammen durch Herat spazieren und die Gewölbe des Basars aufsuchen, wo man, wie Jalil sagte, alles kaufen konnte, was das Herz begehrte. Sie würden mit seinem Auto herumkutschieren, und die Leute würden sagen: »Seht mal, da fährt Jalil Khan mit seiner Tochter.« Er würde ihr den berühmten Baum zeigen, unter dem ein Dichter begraben lag.
    Irgendwann, möglichst bald, wollte sie ihm alle diese Dinge sagen. Und wenn er sie hörte, wenn er sähe, wie sehr er ihr fehlte, würde er sie bestimmt mit sich nehmen. Sie würde ihm nach Herat folgen und wie seine anderen Kinder in seinem Haus wohnen.

5
    »Ich weiß, was ich mir wünsche«, sagte Mariam zu Jalil.
    Es war im Frühjahr 1974, kurz vor Mariams fünfzehntem Geburtstag. Die drei saßen auf Klappstühlen im Schatten der Weiden vor der kolba .
    »Zu meinem Geburtstag. Ich weiß, was ich mir wünsche.«
    »Tatsächlich?« Jalil lächelte aufmunternd.
    Zwei Wochen zuvor hatte er ihr auf ihr Drängen hin mitgeteilt, dass in seinem Kino ein amerikanischer Film gezeigt werde, ein besonderer Film, wie er erklärte, der nur aus Zeichnungen bestehe, aus Tausenden einzelner Zeichnungen, die, wenn man sie zu einem Film zusammenschneide und auf eine Leinwand projiziere, den Eindruck erweckten, als bewegten sie sich. Ein solcher Film werde Cartoon genannt. Dieser Cartoon, fuhr Jalil fort, erzähle die Geschichte eines alten, kinderlosen Erfinders, der sehr einsam sei und sich nichts sehnsüchtiger wünsche als einen Sohn. Also schnitzt er eine Puppe, einen hölzernen Jungen, der dann auf magische Weise zum Leben erwacht. Mariam hatte mehr von dieser Geschichte hören wollen und von Jalil erfahren, dass der alte Mann und seine Puppen jede Menge Abenteuer erlebten, dass es da einen Ort namens Pleasure Island gebe, wo böse Jungs in Esel verwandelt würden. Begeistert hatte Mariam Mullah Faizullah von diesem Film berichtet.
    »Ich wünsche mir, dass du mich in dein Kino mitnimmst«, sagte Mariam nun. »Dass ich den Cartoon sehe und den hölzernen Jungen.«
    Mariam spürte, wie sich schlagartig die Stimmung änderte. Ihre Eltern rutschten auf ihren Stühlen hin und her und tauschten irritierte Blicke.
    »Das ist keine gute Idee«, sagte Nana. Ihre Stimme klang ruhig und beherrscht, wie immer, wenn Jalil zugegen war, doch ihre Miene verriet etwas anderes.
    Jalil hustete und räusperte sich.
    »Weißt du«, sagte er, »die Bildqualität ist ziemlich schlecht, so auch der Ton, und der Projektor hat in letzter Zeit seine Macken. Vielleicht hat deine Mutter recht. Vielleicht solltest du dir etwas anderes wünschen, Mariam jo .«
    » Aneh «, bemerkte Nana. »Siehst du? Dein Vater und ich sind einer Meinung.«
    Später am Fluss sagte Mariam: »Nimm mich mit.«
    »Hör zu«, entgegnete er. »Ich sorge dafür, dass dich jemand abholt und mit dir ins Kino geht. Da wird man dir einen guten Platz freihalten und so viel Süßigkeiten bringen, wie du willst.«
    »Nein. Ich will mit dir ins Kino gehen.«
    »Mariam jo …«
    »Und ich will, dass auch meine Brüder und Schwestern da sind. Ich möchte sie kennenlernen. Wir sehen uns alle zusammen den Film an. Das ist es, was ich mir wünsche.«
    Jalil seufzte. Er wich ihrem Blick aus und schaute in Richtung Berge.
    Mariam erinnerte sich, von ihm erfahren zu haben, dass auf einer Leinwand das Gesicht eines Menschen so groß erscheine wie ein Haus, dass, wenn darauf ein Autounfall zu sehen sei, der Zuschauer bis in die Knochen spüre, wie

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