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Tausend strahlende Sonnen

Tausend strahlende Sonnen

Titel: Tausend strahlende Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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sich das Blech zerknautsche. Sie malte sich aus, neben Jalil und ihren Geschwistern auf einem der Logenplätze zu sitzen und an einem Stieleis zu lecken. »Das ist es, was ich mir wünsche«, sagte sie.
    Jalil sah sie traurig an.
    »Morgen. Morgen Mittag. Wir treffen uns hier, an dieser Stelle. In Ordnung? Morgen Mittag?«
    »Komm her«, sagte er. Er kauerte sich auf den Boden, nahm sie in den Arm und drückte sie an sich.
    Nana hatte die Hände zu Fäusten geballt und stampfte mit dem Fuß auf.
    »Warum hat mich Gott bloß mit einer so undankbaren Tochter gestraft? Was habe ich nicht alles für dich erlitten? Wie kannst du es wagen? Wie kannst du es wagen, mich im Stich zu lassen, du verräterischer kleiner harami !«
    Dann versuchte sie es mit Spott.
    »Dummes Ding! Bildest du dir etwa ein, ihm etwas zu bedeuten, in seinem Haus willkommen zu sein? Dass er dich als seine Tochter bei sich aufnimmt? Lass dir eins gesagt sein: Das Herz eines Mannes ist verkommen, Mariam. Im Unterschied zum Mutterschoß blutet es nicht, und es dehnt sich auch nicht aus, um Platz für ein Lebewesen wie dich darin zu machen. Ich bin die Einzige, die dich liebt. Ich bin alles, was du auf dieser Welt hast, Mariam, und wenn ich gegangen bin, wirst du nichts haben. Rein gar nichts. Du bist ein Nichts!«
    Schließlich versuchte sie, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen.
    »Ich sterbe, wenn du gehst. Der Dschinn wird in mich fahren. Ich werde einen Anfall bekommen, werde meine Zunge verschlucken und daran ersticken. Verlass mich nicht, Mariam jo . Bitte bleib. Ich sterbe, wenn du gehst.«
    Mariam schwieg.
    »Du weißt, wie sehr ich dich liebe, Mariam jo .«
    Mariam sagte, sie wolle einen Spaziergang machen.
    Sie fürchtete, wenn sie bliebe, die Mutter mit Worten verletzen zu können, denn sie hätte am liebsten gesagt, dass die Geschichte mit dem Dschinn erlogen war, dass ihre Krankheit, wie sie von Jalil wusste, einen Namen hatte und mithilfe von Pillen gelindert werden konnte. Sie hätte Nana womöglich gefragt, warum sie sich weigerte, Jalils Rat zu befolgen und seine Ärzte aufzusuchen. Warum sie nicht die Pillen nahm, die er ihr mitgebracht hatte. Wenn es Mariam möglich gewesen wäre, ihre Gefühle in Worten auszudrücken, hätte sie vielleicht sogar gesagt, dass sie es leid war, benutzt zu werden, die verdrehten Wahrheiten ihrer Mutter hören zu müssen und, als Alibi missbraucht, für ihren Groll gegen die Welt herhalten zu müssen.
    Du hast Angst, Nana, hätte sie womöglich gesagt. Du hast Angst, dass ich das Glück finden könnte, das dir versagt geblieben ist. Und du willst nicht, dass ich glücklich bin. Du gönnst mir kein gutes Leben. Du bist von uns beiden diejenige mit dem verkommenen Herzen.
    Am Rand der Lichtung gab es einen Aussichtspunkt, den Mariam gern aufsuchte. Dort setzte sie sich auch jetzt ins warme trockene Gras. Wie ein Brettspiel breitete sich Herat in der Ferne aus: der Frauengarten im Norden der Stadt; im Süden der Char-suq-Basar und die Ruinen der alten Zitadelle von Alexander dem Großen. Wie die verstaubten Finger eines Riesen ragten die Minarette in den Himmel, und in den Straßen stellte sie sich ein Gewimmel von Menschen, Karren und Maultieren vor. Über ihr schwirrten Schwalben durch die Luft. Sie beneidete die Vögel. Die waren schon in Herat gewesen, über seine Moscheen und Basare gesegelt. Vielleicht hatten sie sich schon einmal auf den Mauern von Jalils Haus oder auf den Eingangsstufen seines Kinos niedergelassen.
    Sie sammelte zehn Kieselsteine auf und ordnete sie in drei senkrechte Reihen. Mit diesem Spiel beschäftigte sie sich manchmal heimlich, wenn Nana nicht zuschaute. Die vier Steine in der ersten Reihe standen für Khadijas Kinder, die drei in der zweiten für Afsoons und die drei in der dritten für Nargis’ Kinder. Dann fügte sie den drei Reihen eine vierte hinzu. Einen einzigen, elften Kieselstein.
    Am nächsten Morgen trug Mariam ein cremefarbenes Kleid, das ihr bis zu den Knien reichte, darunter eine Leinenhose. Den Kopf bedeckte sie mit einer grünen hijab , was sie ein wenig grämte, weil die Farbe nicht zum Kleid passte. Aber sie musste sich damit begnügen – die weiße hijab war von Motten zerfressen.
    Sie warf einen Blick auf die Uhr, eine alte Uhr zum Aufziehen, mit schwarzen Ziffern auf minzegrünem Grund, ein Geschenk von Mullah Faizullah. Es war neun Uhr. Sie fragte sich, wo Nana sei, und wähnte sie draußen vor der Tür, wagte es aber nicht, ihren gekränkten Blicken zu

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