Tausend strahlende Sonnen
die Augen. »Werden Sie zur Stelle sein, um für Ordnung zu sorgen?«
»Wir mischen uns prinzipiell nicht in familiäre Angelegenheiten ein, hamshira .«
»Natürlich nicht. Solange es dem Herrn des Hauses nützt. Und ist nicht auch unser Fall, wie Sie sagen, eine Familienangelegenheit? Ist es nicht so?«
Er stieß sich vom Schreibtisch ab, stand auf und strich sein Jackett glatt. »Unser Gespräch ist beendet. Ich muss sagen, du hast deine Sache sehr schlecht vertreten. Wirklich schlecht. Wenn du jetzt bitte draußen warten würdest, ich habe noch ein paar Fragen an deine – wer ist sie noch gleich? – zu richten.«
Laila protestierte und fing zu schreien an, worauf der Beamte zwei Männer ins Zimmer rief, die sie nach draußen zerrten.
Mariams Verhör dauerte nur wenige Minuten. Mit verzweifelter Miene kehrte sie in den Korridor zurück.
»Er hat so viele Fragen gestellt«, sagte sie. »Es tut mir leid, Laila jo . Ich bin nicht so gewandt wie du. Er hat so viele Fragen gestellt, auf die ich keine Antwort wusste. Es tut mir leid.«
»Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen, Mariam«, erwiderte Laila matt. »Es ist meine Schuld, alles meine Schuld.«
Es war kurz nach sechs, als der Polizeiwagen vor dem Haus anhielt. Laila und Mariam wurden aufgefordert, im Auto zu warten. Zwei Milizionäre der Mudschaheddin passten auf sie auf, während der Fahrer ausstieg, den Hof durchquerte und von Raschid an der Haustür empfangen wurde. Es war Raschid, der sie zu sich winkte.
»Willkommen zu Hause«, sagte der Mann auf dem Beifahrersitz und zündete sich eine Zigarette an.
»Du wartest hier«, verlangte er von Mariam.
Mariam setzte sich auf die Couch und sagte kein Wort.
»Ihr zwei kommt mit mir nach oben.«
Raschid packte Laila beim Ellbogen und stieß sie die Treppe hinauf. Statt der Latschen, die er sonst immer im Haus anhatte, trug er noch seine Arbeitsschuhe. Auch den Mantel hatte er noch nicht abgelegt. Laila stellte sich vor, wie er soeben, von der Arbeit zurückgekehrt, durch das Haus gerannt sein mochte, von einem Zimmer zum anderen, Türen schlagend, fluchend und außer sich vor Wut.
Auf dem oberen Treppenabsatz angelangt, drehte sich Laila zu ihm um.
»Sie war dagegen«, sagte sie. »Ich habe sie dazu gedrängt. Sie wollte nicht gehen …«
Laila sah den Schlag nicht kommen. Plötzlich lag sie mit weit aufgerissenen Augen am Boden und rang nach Luft. Ihr war, als hätte sie ein Auto mit voller Wucht gerammt. Der Fausthieb war zwischen Brustbein und Bauchnabel aufgetroffen. Aziza lag schreiend neben ihr; sie hatte sie fallen lassen. Der Versuch, nach Luft zu schnappen, ergab nur ein ächzendes Würgen. Speichel tropfte ihr von den Lippen.
Dann spürte sie seine Pranke an ihren Haaren zerren. Sie sah, wie er Aziza vom Boden aufhob, die mit den Beinen strampelte und ihre Sandalen dabei verlor. Haare rissen aus der Kopfhaut. Der Schmerz trieb Laila das Wasser in die Augen. Sie sah, wie er mit dem Fuß die Tür zu Mariams Zimmer aufstieß und das Kind aufs Bett warf. Dann ließ er von ihren Haaren ab und versetzte ihr einen Fußtritt, der sie über die Schwelle warf und vor Schmerz laut aufbrüllen ließ. Er schlug die Tür zu. Ein Schlüssel klickte im Schloss.
Aziza schrie immer noch. Laila lag zusammengerollt am Boden und schnappte nach Luft. Sie stieß sich mit den Händen ab, kroch auf das Bett zu und streckte die Arme nach ihrer Tochter aus.
Unten wurde jetzt geprügelt. Den Geräuschen hörte Laila an, dass dort eine geradezu routinierte, fast methodische Strafaktion durchexerziert wurde. Es gab keine Schreie, kein Fluchen, kein Flehen, nur das dumpfe, rhythmische Schlagen eines festen Gegenstandes. Ein Körper prallte an die Wand, Kleider zerrissen. Zwischendurch waren Laufschritte zu hören, eine stumme Verfolgungsjagd, in deren Verlauf Möbel umstürzten und Glas zersprang. Und dann wieder das Schlagen.
Laila schloss Aziza in ihre Arme. Das Kleidchen war feucht. Die Kleine hatte eingenässt.
Nach lautem Gepolter und stampfenden Schritten waren jetzt unten wieder Schläge zu hören; es klang, als würde ein Stück Fleisch weichgeklopft.
Laila schaukelte Aziza, bis es unten still wurde. Als sie die Haustür auf- und zugehen hörte, setzte sie Aziza auf dem Boden ab und trat ans Fenster. Sie sah, wie Raschid Mariam am Kragen durch den Hof zerrte. Mariam war barfüßig und in der Hüfte eingeknickt. Seine Hände waren blutverschmiert, wie auch ihr Gesicht, die Haare, ihr Nacken und der
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