Tausend und eine Nacht, Band 4
glichen dem Donner, und sein Hauch verbreitete Leichengeruch um ihn. »Was bedeutet diese fürchterliche Gestalt?« fragte ich ihn erschrocken. Statt einer Antwort schlug er mich so heftig ins Gesicht, daß ich das Bewußtsein verlor, und als ich wieder zu mir kam, befand ich mich allein auf dem Gipfel eines hohen Berges, mit einem so schweren Stein auf der Brust, daß ich mich weder links noch rechts bewegen und kaum noch atmen konnte. Ich lag so den ganzen Tag unter diesem Felsen; die Sonne brannte mir so heiß ins Gesicht, daß ich es mit den Händen bedecken mußte. Als ich aber gegen Abend sie von meinen Augen weghob, sah ich vier Jungfrauen vor mir, deren Aussehen, Kleidung und Schmuck mich nicht zweifeln ließ, daß es Prinzessinnen sein müßten. Ihr Anblick blendete mich noch mehr, als früher die Sonne; ich schloß daher meine Augen wieder und stellte mich, als schliefe ich. Da hörte ich, wie eine von ihnen sagte, »Wer mag wohl dieser schöne Jüngling sein? Wer hat ihn auf diesen steilen Berg gebracht und ihm einen so schweren Stein aufgebürdet?« Eine andere antwortete: »Dieser Jüngling ist Ali, der Sohn der Königin Farha, der Geliebte der Königin Turaja; der König Sarech, welcher die Königin Turaja leidenschaftlich liebt, hat ihn hierhergetragen, um ihn hier vor Hunger und Durst umkommen zu lassen; aber bei dem Siegel Salomos, wäre auch der König Sarech so mächtig wie Barachja, Salomos Vezier (Friede sei mit ihm!), so muß doch dieser Jüngling gerettet werden.«
Bei diesen Worten ging die Jungfrau auf mich zu und hob den Stein von meiner Brust. Ich öffnete die Augen wieder, schöpfte Atem, stand auf und beschwor meine Retterin, mir doch zu sagen, wieso sie diesen unzugänglichen Berg besteigen konnte, was sie hierherführte und wer sie sei? Sie antwortete mir: »Ich heiße Djauharah und bin die Tochter der blauen Königin, Herrin der weißen Stadt; die drei Mädchen, die du hier bei mir siehst, sind meine Schwestern; die eine heißt Sumurda und ist meine rechte Schwester, die anderen beiden, Murdjana und Jakuta, sind meine Stiefschwestern. Uns ist kein Land zu fern, kein Berg zu hoch und kein Meer zu tief, denn wir fliegen wie Vögel in der Luft und tauchen wie Fische in den Abgrund des Meeres hinab; auf diesen Berg sind wir aber nur um deinetwillen gekommen, als wir auf einem Ausflug dich so hilflos daliegen sahen; komme jetzt mit uns, erhole dich von deinen schweren Qualen; dann steht es dir frei, wieder zu deiner Geliebten zurückzukehren.« Sie nahm mich hierauf in ihren Arm und flog mit mir so schnell wie ein Blitz nach einer herrlichen großen Stadt, welche in einem reizenden Tal lag, ließ sich mit mir auf die Terrasse eines Schlosses herab und führte mich eine marmorne Treppe hinunter in einen Saal, der an Größe und Glanz dem der Königin Turaja nicht nachstand. Es war schon Nacht, als wir ankamen, aber der Saal war heller beleuchtet, als wenn die Mittagssonne ihn beschienen hätte. Djauharah befahl sogleich den Sklavinnen, welche den Saal füllten, das Nachtessen aufzutragen, und kaum hatte sie es gefordert, als niedliche kleine Tischchen mit goldenen Schüsseln, kristallenen Tellern und silbernen Löffeln gebracht wurden, erstere mit Speisen gefüllt, deren Geschmack und Aussehen mir ganz fremd waren, aber ganz vorzüglich mundeten. Als wir satt waren, wurden die Weingefäße gebracht mit allerlei trockenen und frischen Früchten; eine alte Wirtschafterin, die wie eine scheckige Schlange aussah und Feirusadj hieß, schenkte ein und reichte die Becher im Kreis umher, dann holte sie auch Sängerinnen, welche ihren Gesang mit allerlei Instrumenten begleiteten. Gegen Mitternacht, als wir mehr oder weniger berauscht waren, sagte Djauharah zu ihren Schwestern: »Unser Gast bedarf jetzt der Ruhe, darum ziehet euch in eure Gemächer zurück.« – »Glaubst du etwa«, erwiderte Sumurda, »ich werde vor dir diesen Saal verlassen? Wenn eine von uns den noch übrigen Teil der Nacht in Alis Nähe zubringen soll, so gebührt es mir, als der Ältesten, zuerst.« – »Nein«, versetzte Djauharah, »ich habe den Stein von ihm hinweggewälzt, unter dem er gestorben wäre; ich habe ihn auf meinem Arm hierhergetragen, ich allein habe ein Recht auf seine Gesellschaft.« Sumurda zog aber ihr Schwert und drang auf Djauharah ein: Diese zog schnell das ihrige, und es entstand ein Kampf, als wenn zwei Meere einander entgegentobten. Während aber Djauharah und Sumurda um meinen Besitz miteinander
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