Tausend und eine Nacht, Band 4
alle Schilderung gefunden; ich nahm daher die Gestalt eines Vogels an, und seither flatterte ich jeden Tag um ihr Schloß herum in der Hoffnung, sie zu erblicken, bis ich heute dich auf der Terrasse fand, da wandelte mich die Lust an, dich mit mir zu nehmen, um etwas von meiner Geliebten zu hören; auch bin ich sehr begierig, zu vernehmen, wieso du auf die Insel der Königin Turaja gekommen, und in welcher Eigenschaft du dich in ihrem Schloß aufhältst.«
Als Tarad diese wunderbare Geschichte – fuhr Ali dem Kalifen zu erzählen fort – vollendet hatte, dachte ich: Hier muß ich behutsam zu Werke gehen; sage ich diesem rasenden Jüngling, daß ich Turajas Gatte bin, so wird er aus Eifersucht mich umbringen; ich sagte ihm daher bloß, ich sei der Sohn der Königin Farha, Freundin der Königin Turaja, und habe dieser auf meiner Mutter Befehl einen kleinen Besuch gemacht. Als Tarad dies hörte, sagte er: »Wehe mir, wenn Turaja dich vermißt und erfährt, daß ich dich fortgeschleppt habe; da wird sie zu meinem Vater und Abu Tawaif schicken und mich als einen meineidigen König anklagen, da ist es um meine Ehre, vielleicht gar um mein Leben geschehen, das Beste ist daher, ich schicke dich ihr zurück, und bitte dich, sie um Gnade für mich anzuflehen.« Kaum hatte er aber diese Worte vollendet, da trat hastig sein Adjutant herein und sagte ihm: Draußen steht ein Abgesandter der Königin Turaja mit mehr als hundert schwarzen Genien, welcher dich zu sprechen wünscht.« Bei dem Namen Turaja fing Tarad an zu zittern und zu beben, und mit Mühe stammelte er: »Führe ihn herein.« Als der Abgesandte erschien, stand Tarad vor ihm auf, grüßte ihn mit Ehrerbietung und fragte ihn, welche Botschaft er bringe? Der Bote überreichte ihm einen versiegelten Brief, den er hastig erbrach, und als er ihn gelesen hatte, brach er in Schmähungen gegen Turaja aus und sägte dem Gesandten: »So behandelt man keinen König, so sehr er auch gefehlt haben mag.« Da ich fürchtete, Tarad möchte mein Geheimnis erfahren, benützte ich diesen Augenblick, um aus seinem Schloß zu fliehen und irrte auf seiner Insel umher, ohne zu wissen, wohin ich meinen Fuß setzte. Nach einigen Stunden, als ich ziemlich weit vom Schloß entfernt war, warf ich mich voller Verzweiflung auf die Erde, dachte an meinen Vater, an meine Mutter und an Turajas Angst um meinetwillen, und fing an laut zu weinen und Gottes Hilfe anzuflehen. Da rief mir eine Stimme aus der Höhe zu: »Beruhige dich, Ali, es naht dir Hilfe.« Als ich die Augen aufhob, erblickte ich über mir einen großen Genius in Vogelsgestalt; ich bat ihn, sich zu mir herabzulassen und mir zu sagen, zu welcher Gattung Genien er gehöre? Er stieg herunter und sagte mir: »Ich gehöre zu den Genien des Königs Tarad und entfliehe vor dem roten Tod, der sie durch das Schwert der Königin Turaja erreicht. Bald nach deiner Flucht aus dem Schloß des Königs Tarad erblickten wir nämlich eine Röte in der Atmosphäre, daß wir glaubten, der ganze Himmel stehe in Flammen; es waren die feuerspeienden Scharen der Königin Turaja, welche Tarads Schloß wie ein Schwarm Heuschrecken oder Ameisen umlagerten und alles, was darin war, töteten oder gefangennahmen. Die Königin selbst, welche an ihrer Spitze stand, sprang auf Tarad mit gezogenem Schwerte zu und fragte ihn: Wo ist Ali, der Sohn der Königin Farha? Tarad schwor bei Gott, er wisse nicht, wo er hingekommen, er habe sich bei Ankunft ihres Gesandten entfernt und sei wahrscheinlich irgendwo verborgen, oder habe aus Furcht vor den Genien die Flucht ergriffen. Aber Turaja nannte ihn einen Wortbrüchigen und Meineidigen, trat ihn mit Füßen und befahl einem ihrer Offiziere, ihn gefangenzunehmen. Nun, gottlob, daß ich dich hier finde, ich will dich sogleich zur Königin Turaja, die vor Liebe zu dir ganz rasend ist, bringen; du mußt ihr sagen, daß Tarad dir nichts zuleide getan, so wird sie ihm gewiß auch diesmal wieder verzeihen.« – »Tu dies, mein Freund«, sagte ich, »du wirst dadurch Turaja, Tarad und mich verbinden.« Da nahm er mich auf seinen Rücken und flog mit mir so hoch hinauf, daß ich nur noch eine Hand breit vom Himmel entfernt war, dann ließ er sich auf einen hohen Berg herunter, schüttelte mich ab und stellte sich vor mich in der Gestalt eines Raben mit einem Löwengesicht und Adlerkrallen. Ganze Feuersäulen stiegen aus seinem Schlund hervor, und auch seine Augen, welche in die Länge gespalten waren, sprühten Funken, seine Worte
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