Tausend und eine Nacht, Band 4
besaß. Sie begruben ihre Toten vor den Türen ihrer Häuser, besuchten beständig diese Gräber, und kehrten den Staub davon ab und beteten darauf zu Gott; ihre Nahrung bestand ganz allein aus Kräutern und Pflanzen der Erde. Da schickte Alexander jemanden zu ihrem König und ließ ihn zu sich bitten. Aber der König dieses Volkes sagte: »Ich habe nichts bei ihm zu schaffen.« Alexander ging zu ihm und fragte ihn, wie es ihm und seinem Volke gehe. Er sehe weder Gold noch Silber bei ihnen, auch gar nichts, was zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehöre.
Der König erwiderte: »Was nützen die Annehmlichkeiten des Lebens? Es wird doch niemand mit dem, was er besitzt, zufrieden.« Alexander fragte ihn dann, warum sie ihre Toten vor ihren Häusern begraben. Der König antwortete: »Damit wir sie stets vor Augen haben, immer an den Tod denken und nie jenes Leben vergessen, damit die Liebe zur Welt aus unserem Herzen weiche und uns nicht von der Verehrung Gottes abziehe.« – »Und warum«, fragte Alexander, »nährt ihr euch von Pflanzen?« – »Weil wir nicht unseren Leib zum Grabe der Tiere machen wollen«, erwiderte der König; »denn schmackhafte Speisen machen nicht das Glück eines Menschen aus.« Dann zog er einen Menschenschädel heraus, legte ihn vor Alexander hin und fragte: »Weißt du, wer das war?« – »Nein«, antwortete Alexander. »Es war«, versetzte der König, »ein sehr mächtiger Sultan, der seine Untertanen tyrannisierte, die Schwachen unterdrückte und seine ganze Zeit verwendete, weltliche Gegenstände zu sammeln. Gott hat nun seine Seele genommen und ihr die Hölle als Wohnort angewiesen, und hier ist sein Kopf.« Dann zog er einen anderen Schädel heraus und fragte: »Kennst du diesen?« – »Nein«, antwortete Alexander. »Dieser war«, fuhr der König fort, »ein gerechter König der Erde, ein Wohltäter seiner Untertanen; Gott hat seiner Seele im Paradiese einen hohen Rang angewiesen.« Alexander mußte laut weinen; dann drückte er den König an sein Herz und sagte ihm: »Wenn du bei mir leben willst, so ernenne ich dich zu meinen Vezier und teile mein Königreich mit dir.« Der König antwortete: »Das sei fern von mir! Dazu habe ich keine Lust.« – »Und warum?« fragte Alexander. »Darum«, erwiderte der König, »weil alle Leute wegen deiner Macht und deines Reichtums dich hassen, während sie mich in meiner Armut und Genügsamkeit aufrichtig lieben; darum gelüste ich weder nach Macht, noch nach anderen weltlichen Vorzügen.« Alexander drückte ihn noch einmal an sein Herz, küßte ihn und ging weiter.
Nuschirwan erforscht den Zustand seines Landes.
Man erzählt auch: Der gerechte König Nuschirwan stellte sich einst krank und sagte seinen Freunden und Vertrauten, die Ärzte hätten ihm zu einer Arznei alte Ziegelsteine aus einem verwüsteten Dorf verordnet. Es wurden Boten nach allen Teilen des Königreiches geschickt, aber sie kamen zurück und sagten: »Wir haben nirgends ein verwüstetes Dorf gefunden.« Da freute sich Nuschirwan, dankte Gott und sagte: »Ich wollte nur sehen, ob es in meinen Ländern noch einen in Trümmern liegenden Ort gebe, damit ich ihn aufbauen lasse; da ich nun höre, daß es keinen solchen gibt, so bin ich überzeugt, daß der Wohlstand und die Kultur in meinem Lande den höchsten Grad der Vollkommenheit erreicht hat.« So, sagte Schehersad, waren die alten Könige stets bemüht um die Kultur ihres Landes, denn sie wußten, wie wahr die Weisen gesagt: Der Glaube muß von der Regierung unterstützt werden, die Regierung durch Truppen, die Truppen durch Geld und das Geld durch die Kultur des Landes, und diese wird durch die Gerechtigkeit gegen die Untertanen gefördert, denn durch Gewalttat und Tyrannei zwingt ein König seine Untertanen, auszuwandern; die Bevölkerung seines Landes nimmt ab, die Schatzkammern werden leer und die Zurückbleibenden verwünschen ihren Tyrannen so lange, bis sein Untergang sie befreit.
Die tugendhafte Frau eines israelitischen Richters.
Man erzählt ferner: Unter den Söhnen Israels war ein Kadhi, der eine ausgezeichnet schöne Frau hatte, die auch sehr gottesfürchtig war und oft fastete. Als der Kadhi einst nach Jerusalem wallfahren wollte, übertrug er das Richteramt seinem Bruder und empfahl ihm auch seine Frau. Aber der Bruder des Kadhi hatte so oft ihre Schönheit rühmen hören, daß er sie besuchte und ihre Liebe zu gewinnen suchte. Die Frau stieß ihn von sich, aber er hörte nicht auf, sie zu verfolgen,
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