Tausend und eine Nacht, Band 4
dieser Sorge befreit, indem er dich mit einem Sohne gesegnet, den er in dauerndem Ruhm und Glück dir nachfolgen lasse!« Der fünfte Vezier begann: »Gepriesen sei der allmächtige Gott, der edle Gaben spendet denen, die in reiner Absicht ihn anflehen, der seine Huld schenkt denen, die durch einen religiösen Lebenswandel ihm ihre Dankbarkeit bezeigen: So hat auch Gott dich, o König! der du die höchsten Tugenden besitzest, nach langer Hoffnungslosigkeit noch mit einem Sohne gesegnet, mit dem wir uns herzlich freuen, weil wir stets befürchteten, du möchtest ohne Nachkommen sterben, wir aber in Fehde und Zwiespalt zuletzt untergehen, wie die Raben durch den Falken.« Der König fragte: »Wie war das?«
Geschichte des Falken und der Raben.
Wisse, o König! erzählte der Vezier: Es lebten einst in einem weiten Tal, das reich an Früchten, Flüssen und Brunnen war, viele Vögel, welche den Schöpfer des Tags und der Nacht priesen. Die meisten dieser Vögel waren Raben, die in Friede und Sicherheit unter einem von ihrem Geschlecht lebten, der die Obergewalt mit vieler Milde und Güte handhabte und sie gegen die größten Raubvögel beschützte. Groß war daher die Trauer der Vögel, als ihr Anführer starb. Sie versammelten sich, um einen Nachfolger zu wählen, aber es entstand ein großer Zwist unter ihnen, weil manche wieder einen Raben wählen wollten, andere aber nicht. Endlich kamen die Obersten der Vögel dahin überein, daß alle Vögel einen Tag fasten und am folgenden Morgen bei Sonnenaufgang zu gleicher Zeit in die Höhe fliegen sollten: Wer dann am höchsten flöge, der sollte König werden. Dies geschah am folgenden Tage, und nach langem Wettflug sahen die Vögel in die Höhe und fanden einen Falken über sie alle hervorragen. Dieser wurde nun einstimmig zum König gewählt; er übernahm gern die Regierung und versprach, seine Untertanen noch besser als sein Vorgänger zu behandeln. Aber bald nach seinem Regierungsantritte flog er jeden Tag mit einer Abteilung Vögel nach einer Höhle, fraß dort ihre Augen und ihr Gehirn, und warf ihren Körper ins Wasser. Die Vögel merkten bald, daß ihre Zahl jeden Tag geringer wurde; sie gingen daher zum Falken und sagten: O König! Wir wissen nicht, wie es zugeht, daß wir seit deinem Regierungsantritt uns jeden Tag vermindern, und besonders vermissen wir solche Vögel, die als deine Diener dich umgeben.« Der Falke erwiderte zürnend: »Gewiß bringt ihr die Vögel aus meinem Gefolge ums Leben, und jetzt fordert ihr sie von mir.« Er sprang dann auf sie los, nahm zehn ihrer Häupter gefangen, drohte ihnen mit dem Tod und ließ sie im Angesicht aller Vögel prügeln. Nun bereuten die Vögel, was sie getan, und sagten: »Wir wußten wohl, daß es uns nach dem Tod unseres ersten Königs schlecht gehen würde, aber wir verdienen es um so mehr, weil wir einen Fremden über uns gesetzt; mit Recht sagt das Sprichwort: »Wer nicht von den Seinigen regiert sein will, der wird vom Feind tyrannisiert; nun bleibt uns nichts übrig, als uns zu zerstreuen und in fernen Gegenden einen Zufluchtsort zu suchen.« – »So, o König! fürchteten auch wir, es möchte ein gottloser Mann einst unser König werden; nun hat aber Gott dich mit einem Sohne gesegnet, von dem wir nur Heil erwarten.« Dann sprach der sechste Vezier: »Du hast gehört, o König, wie es den Vögeln mit dem Falken gegangen und wie auch wir ein ähnliches Los befürchteten. Nun müssen wir nur noch zu Gott beten, daß er deinem Sohne ein langes Leben schenke. Zwar kann der Mensch nie im voraus wissen, ob das, was er wünscht, ihm frommt oder nicht, und es könnte manchem durch vermessene Wünsche gehen, wie dem Schlangenbeschwörer und seiner Frau und seinen Kindern.« Der König fragte: »Wie ging es diesen?« Da erzählte der Vezier:
Geschichte des Schlangenbeschwörers und seiner Frau und Kinder.
Wisse, o König! Einst lebte ein Mann, dessen Geschäft war, Schlangen zu erziehen, um sie über die Zukunft zu befragen. Er hielt seine Schlangen in einem großen Krug vor den Seinigen verborgen, ging jeden Morgen damit in die Stadt, um durch seine Schlangen Nahrung zu suchen, und kehrte abends wieder nach Hause zurück und verbarg den Krug. Aber eines Tages bemerkte seine Frau diesen Krug und fragte ihn, was er enthalte? Ihr Mann sagte ihr: »Was liegt dir daran? haben wir nicht unser tägliches Brot im Überfluß? Begnüge dich damit und frage nicht weiter.« Die Frau schwieg, dachte aber bei sich: Ich werde
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