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Tausend und eine Nacht, Band 4

Tausend und eine Nacht, Band 4

Titel: Tausend und eine Nacht, Band 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Weil
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uns hoffen, daß Gott ihn segnen und zu einem frommen, tugendhaften Regenten heranwachsen lassen wird! Amen.« Hierauf erhoben sich die Veziere und verbeugten sich vor dem König, der sie mit reichen Geschenken entließ. Dann ging der König zu seinem Sohn, küßte und segnete ihn und nannte ihn Wardchan. Als der Prinz zwölf Jahre alt war, ließ ihm der König ein Schloß bauen mit dreihundertundsechzig Gemächern, und übergab ihn drei Lehrern, die ihn in allen Wissenschaften unterrichten sollten. Sie mußten jeden Tag in einem anderen Zimmer zubringen, und wenn sie es verließen, auf die Tür schreiben, was der Prinz an diesem Tag gelernt, und alle sieben Tage dem König Bericht erstatten. Da der Prinz viel Verstand, Geist und Gedächtnis hatte, auch mit derselben Lust die Lehren aufnahm, wie ein Kranker ein Arzneimittel, durch welches er seine Gesundheit wieder zu erlangen hofft, so bezeigten sie dem König ihre Zufriedenheit mit demselben und sagten ihm, sie hätten in ihrem Leben keinen Schüler gehabt, der alles so leicht begreife; sie scheuten daher auch keine Mühe, um ihn alles zu lehren, was sie wußten, weshalb ihnen der König immer mehr Ehre erwies. Bald übertraf Wardchan alle seine Zeitgenossen in seinen Kenntnissen, und die Lehrer stellten ihn seinem Vater vor mit den Worten: »Freue dich, o König; mit deinem Sohn, der alles gelernt hat, was wir selbst wissen.« Der entzückte König dankte Gott, ließ den Vezier Schimas rufen und teilte ihm die Worte der Lehrer seines Sohnes mit. Der Vezier sagte: »Der rote Rubin glänzt auch aus dem härtesten Gebirge hervor; dein Sohn aber ist eine kostbare Perle, aus anderen edlen Perlen entsprungen, und sein reicher Verstand stimmt mit seiner schönen Gestalt überein. Nun halte ich es für angemessen, o König, daß du morgen alle Veziere und Gelehrten und Philosophen zusammen berufest, damit sie öffentlich sich mit dem Prinzen unterhalten und ein jeder sich von seinen Kenntnissen überzeuge.« Der König billigte diesen Vorschlag, und am folgenden Tag, als alle Gelehrten der Stadt versammelt waren, trat zuletzt Schimas in die Versammlung und verbeugte sich vor dem Prinzen. Als dieser sich zu gleicher Zeit vor Schimas verbeugte, sagte letzterer: »Es ziemt einem jungen Löwen nicht, daß er vor einem anderen Tier sich verbeuge, und nicht dem Licht, daß es gegen die Finsternis ehrerbietig sei.« Da erwiderte der Prinz: »Auch der junge Löwe verbeugt sich vor dem Leoparden, und das Licht vor der Finsternis, um zu sehen, was darin verborgen ist.« Schimas bat dann um Erlaubnis, einige Fragen an ihn zu richten, und als der Prinz sie zu beantworten sich erbot, fragte er: »Welcher Mensch ist der vorzüglichste?« – »Derjenige, der die zukünftige Welt dieser vorzieht.« – »Und wer kann dies?« – »Derjenige, welcher bedenkt, daß er in einer vergänglichen Welt lebt, daß er sterben muß, daß dem Tod ein neues Leben und ein Tag des Gerichts folgt, und daß, wer hier nicht fromm lebt, keine gute Zukunft zu erwarten hat. Den Bewohnern dieser Welt geht es wie Handwerkern, die einst in einem engen Haus eine Arbeit zu verrichten hatten; jedem war sein Werk vorgezeichnet, und es wurden Aufseher angestellt, die einen jeden nach vollendeter Arbeit aus dem Haus befreien und ihn reichlich belohnen, die Müßiggänger aber hart bestrafen sollten. Während sie nun an der Arbeit waren, zeigte sich ihnen ein Honigstock, sie kosteten ihn und fanden ihn süß, vernachlässigten aber die Arbeit, um an der Süßigkeit des Honigs sich zu ergötzen, und alle Warnungen der Aufseher blieben fruchtlos. Als der Oberste dies vernahm, befahl er den Aufsehern, alle umzubringen, die wegen des Bischens Süßigkeit ihr Werk vernachlässigt, diejenigen aber zu belohnen, welche die Süßigkeit verschmäht.« – »Du hast recht; doch wie lassen sich die Bedürfnisse dieser Welt mit den Ansprüchen der zukünftigen vereinigen? Wenn der Mensch nicht für irdische Bedürfnisse sorgt, so geht doch sein Körper zugrunde.« – »Man kann auf dem Weg des Rechtes für irdische Bedürfnisse sorgen, aber ein Teil des Tages genügt dazu, den übrigen soll man seinem Seelenheil und dem zukünftigen Leben widmen. Ich will dir hierüber noch ein Beispiel anführen.«
    Der Prinz fuhr fort: »Einst herrschten gleichzeitig zwei Könige, von denen der eine gerecht, der andere aber gewalttätig war. Das Land des letzteren war sehr fruchtbar und lieblich, und reich an Fundgruben und Perlen und

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