Tausendundeine Nacht - Erwachsene Märchen aus 1001 Nacht
vernehme ich einen Fakir, der Gott priese. Ehe ich hinaufgehe, will ich doch zuvor verborgen lauschen, was sie treiben.« Damit blickte er um sich her und gewahrte einen hohen Nußbaum in der Nähe. Nachdem er ihn genauer betrachtet hatte, sprach er zu Djafar: »Ich habe Lust, auf diesen Baum zu steigen, dessen Äste gerade nahe genug bis an die Fenster des Saales reichen, um sehen zu können, was im Inneren desselben vorgeht.«
Er stieg hierauf auf den Baum und kletterte so lange fort, bis er auf einen Ast kam, welcher einem Fenster gegenüber war. Er setzte sich darauf nieder und erblickte durch das Fenster ein Mädchen von unvergleichlicher Schönheit neben einem noch schöneren jungen Manne; sie glichen dem Vollmonde. (Gepriesen sei der, welcher sie geschaffen und so wohlgebildet!)
Scheich Ibrahim hielt eben die Schale in der Hand und sagte zu der schönen Perserin: »Meine schöne Herrin, wenn nicht fröhliche Stimmen das Trinken begleiten, so ist es nicht schön. Ich habe einmal einen Dichter sagen hören:
»Reichet ihn herum in großen und kleinen Gefäßen, und nehmet ihn aus der Hand eines Schenken, der wie der leuchtende Mond strahlt.«
»Doch trinke nicht ohne Gesang, denn auch das Pferd wiehert, wenn es sich mit einem Trunk erquickt.«
Als der Kalif dies von Ibrahim sah, schwoll die Ader des Zornes zwischen seinen Augen an. Er stieg wieder von seinem Baume herab und sagte zu Djafar: »Noch nie habe ich gottesfürchtige Leute in einem solchen Zustande gesehen. Steige auf den Baum, Djafar, und sieh dich um, damit dir der Segen dieser Frommen nicht entgehe!«
Djafar geriet über diese Worte ganz in Verwirrung, er stieg auf den Baum, sah Nureddin, seine Sklavin und Ibrahim, welcher einen Kelch in der Hand hielt. Dieser Anblick versetzte ihn in Todesangst. Als er wieder herabgestiegen war, sprach Harun Arraschid: »Gelobt sei Gott, der uns zu diesen Frommen kommen ließ!« Djafar konnte vor Scham und Verlegenheit kein Wort hervorbringen. »Wer hat diese Leute«, fuhr der Kalif fort, »in meinen Garten und in meinen Palast gebracht? Doch habe ich nie ein schöneres junges Paar gesehen.«
Djafar, der den Zorn des Kalifen abzulenken hoffte, erwiderte: »Du hast recht, großer Sultan!« – »Komm«, sagte Harun Arraschid, »wir wollen noch einmal miteinander auf den Zweig steigen, um zu sehen, was sie machen.« Sie stiegen hinauf und hörten beide, wie Scheich Ibrahim zu der schönen Perserin sagte: »Nun, meine Herrin, läßt dieser Ort noch etwas zu wünschen übrig?« – »Bei Gott!« erwiderte Enis Aldjelis, »wenn wir noch ein Musikinstrument hätten, das ich spielen könnte, so wäre unser Vergnügen vollkommen.« Scheich Ibrahim stand auf und entfernte sich, als er dies hörte.
»Was wird er wohl jetzt beginnen?« fragte der Kalif den Großvezier. »Das weiß ich nicht«, antwortete Djafar.
Nachdem Scheich Ibrahim eine Weile weg gewesen war, kam er wieder und hatte eine Laute in der Hand. Der Kalif sah aufmerksam hin und erkannte, daß es die Laute seines Gesellschafters Abu Ishak war, und sagte zu jenem: »Djafar, das Mädchen wird auf der Laute spielen und singen: spielt und singt sie schlecht, so lass’ ich euch alle zusammen hängen; macht sie ihre Sache gut, so will ich verzeihen, dich aber lass’ ich aufknüpfen.« – »Beherrscher der Gläubigen!« erwiderte der Großvezier, »wenn dem so ist, so bitte ich Gott, daß sie schlecht singen möge.« – »Warum das?« sagte der Kalif. – »Je mehr wir sind«, entgegnete der Großvezier, »desto leichter werden wir uns trösten können, in guter Gesellschaft zu sterben.« Der Kalif lachte über diese Antwort. Hierauf nahm das Mädchen die Laute, stimmte die Saiten und brachte Töne hervor, welche aller Herzen zu ihr hinzog; der Inhalt des Liedes war aber folgender:
»O ihr, die ihr armen Unglücklichen Hilfe und Beistand gewährt, wir sind des Guten nicht unwürdig, das ihr uns erweist.«
»Wir haben uns in euern Schutz begeben: darum handelt nicht schlecht gegen uns.«
»Es brächte euch wirklich keinen Ruhm, wenn ihr diejenigen ermorden wollet, welche unter euer Dach sich geflüchtet haben; darum werdet nicht schadenfroh über uns.«
»Das ist bei Gott schön«, rief der Kalif aus. »Zeit meines Lebens habe ich keine schönere Stimme gehört.« – »Also ist dein Zorn vorüber?« fragte Djafar. – »Mein Zorn ist vorüber«, antwortete der Kalif. Er stieg hierauf mit Djafar vom Baume herunter, dann sagte er, zu diesem gewendet:
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