Taylor Jackson 01 - Poesie des Todes
versuchen, sich einen Reim auf all das zu machen. Am liebsten per Telefon mit Taylor. In letzter Zeit war ihm aufgefallen, dass es schon reichte, einfach mit ihr zu sprechen, um klarer zu sehen. Und im Moment konnte sein Gehirn eine ganz gehörige Portion Durchblick gebrauchen. Er benötigte eine Strategie, einen besseren Überblick. Er musste alles ausbreiten und dann sehen, was fehlte. Denn ihm fehlte etwas Bedeutendes, und solange er nicht wusste, worum es sich dabei handelte, würde er den Mörder in naher Zukunft nicht aufhalten können.
Mit zusammengekniffenen Augen sah er zu, wie Christina Dale in einen Leichensack gesteckt, dann auf eine Trage gehoben und schließlich auf eine Bahre gelegt wurde, die auf leisen Rollen in den cremefarbenen Van des Gerichtsmediziners glitt. Die Bäume sahen sehr grün aus, der Dunst um die Berge sehr violett, die Sommerluft war erstaunlich klar und sauber, mit nur einem kaum wahrnehmbaren Hauch von Tod. Alles schien überlebensgroß, echter als echt, und das machte Baldwin Kopfschmerzen. Das passierte ihm in den Bergen immer.
Baldwin stieg aus der Dusche und schaltete den Fernseher an. In seinem Hotelzimmer war es zu heiß, also setzte er sich nur mit dem Handtuch um die Hüften auf die Bettkante und schaute die Lokalnachrichten. Der Aufmacher war der Fund von Christina Dales Leiche. Die Reporterin berichtete die Details, die etwas dürftig waren, weil Baldwin sichergestellt hatte, dass nur wenige Informationen herausgegeben wurden. Sie verfolgte die Spur des Mörders über die letzten Wochen zurück und endete mit einer Warnung an alle jungen Frau in Asheville.
“Alle Frauen in der weiteren Umgebung von Asheville werden ausdrücklich gewarnt, nicht alleine zu bleiben. Halten Sie Ihre Türen und Fenster geschlossen. Wenn Sie ausgehen, bitten Sie jemanden, Sie zu begleiten. Sprechen Sie mit niemandem, den Sie nicht kennen, und haben Sie immer Pfefferspray dabei. Wir können gar nicht genug betonen, dass Sie höchst wachsam sein müssen. Haben Sie Ihr Handy immer aufgeladen und parat. Steigen Sie nicht zu Fremden ins Auto. Jeder muss sich der Gefahr bewusst sein.”
Es war eine gute Warnung; nichts, was nicht jede Frau schon x-mal gehört hätte, aber dafür mit solchem Nachdruck vorgetragen, dass es vielleicht die eine oder andere von ihnen jetzt tatsächlich beherzigte. Unglücklicherweise gab es nichts Bestimmtes, was die Frauen von Asheville tun oder lassen konnten, um auf alle Fälle in Sicherheit zu sein.
Baldwin schaltete den Ton aus und zog seine Akten hervor. Er legte sie in chronologischer Reihenfolge auf das Bett und begann sie zum wohl hundertsten Mal durchzugehen. Den Anfang machte Susan Palmer. Es gab definitiv Gemeinsamkeiten bei den Opfern. Alle hatten dunkle Haare und Augen, sie waren zwischen achtzehn und achtundzwanzig Jahren alt. Auch die Staturen waren vergleichbar, alle waren kräftig und athletisch. Und sie alle arbeiteten zu einem gewissen Grad im Bereich Medizin. Hatte er es mit einem gestörten Arzt zu tun, der durchgedreht war? Die Theorie war genauso gut wie jede andere, die er bisher aufgestellt hatte.
Er fing an, sich unfähig zu fühlen. Dieser Mörder bewegte sich schnell, und auch wenn seinen Aktionen ein eindeutiges Muster zugrunde lag, war es nicht vorhersehbar, in welcher Stadt er als Nächstes zuschlagen würde. Alles, was sie tun konnten, war, ihn zu fangen. Und diesem Ziel waren sie auch nicht viel näher gekommen.
Er hatte schon vorher Fälle wie diesen hier gehabt, in denen die Aktionen des Mörders die polizeilichen Ermittlungen vor Probleme stellten. Er war mehr vertraut mit der Art Mörder, die sich Zeit ließ. Normalerweise wurden Muster sorgfältig über mehrere Wochen und Monate aufgebaut, nicht innerhalb von Tagen. Dieser Mann war auf einem fieberhaften Amoklauf, und solche Täter waren die gefährlichsten. Aber meistens begingen sie auch schneller einen Fehler und wurden bald geschnappt. Ganz sicher fuhren sie nicht von Staat zu Staat, nahmen sich Frauen und entsorgten die Leichen ohne die Hände in einem anderen Staat.
Diese Eskalation war an sich sogar eine gute Sache. Bei dieser Geschwindigkeit musste er einen Fehler machen. Kein Mörder war so clever. Seine DNA zurückzulassen war die erste von, wie Baldwin hoffte, vielen weiteren Unachtsamkeiten in der Zukunft.
Baldwins Handy klingelte in dem Moment, als auf dem Fernseher die dem Fall zugeteilte Telefonnummer des FBI eingeblendet wurde. Er schaltete den Fernseher aus
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