Taylor Jackson 02 - Der Schneewittchenmörder
gesehen hatte.
„Danke“, flüsterte sie.
47. KAPITEL
Nashville, Tennessee
Dienstag, 23. Dezember
19:30 Uhr
Der Lehrling stürmte durch die Flure des Pfarrhauses und schaute in jeden Raum in der obersten Etage. Das Mädchen war fort.
Wütend betrat er die Bibliothek. Er bemerkte nicht, dass sie nicht alleine waren. Joshua saß in blinder Gelassenheit an der Ecke am Kamin, die Querflöte in seinen Schoß gebettet.
„Wo ist sie? Wo ist das Mädchen?“, schrie der Lehrling.
Der Schneewittchenmörder saß in seinem Stuhl, das Feuer brannte und wärmte seine verkrüppelten Beine. Er verrieb Creme auf seinen Händen und massierte die Schmerzen so gut es ging weg. Der Geruch des Balsams war ihm verhasst; er kroch in sein welkes Fleisch, ließ sich nicht abwaschen. Aber wenn er ihn oft genug benutzte, klangen die Schmerzen ein klein wenig ab.
„Sie ist in ihrem Zimmer.“
„Nein, das ist sie nicht. Sie ist weg.“
Der Schneewittchenmörder kämpfte sich auf die Beine. „Als du mit Charlotte gegangen bist, war sie noch da.“
„Tja, nun ist sie aber weg, alter Mann. Wirklich passend. Deine Schlampe von einer Tochter. Ich hatte keine andere Wahl, wirklich. Aber es hat so viel Spaß gemacht. Sie ist weinend gestorben, wie ein kleines Kind.“
„Neeeiiin!“ Joshuas verzerrter Schrei erscholl von der anderen Seite des Raumes. „Du hast sie nicht getötet. Sag mir, dass du sie nicht getötet hast. Ich habe Jane gehen lassen. Sssie war sssüß und nett und hat dasss hier nicht verdient. Du hast Charlotte nicht wehgetan. Sag mir, dass du Charlotte nicht wehgetan hast.“
Troy drehte sich um und fauchte ihn an: „Sie ist ganz langsam gestorben, kleiner Bruder. Das solltest du wissen.“
Schluchzend rannte Joshua aus dem Zimmer. Der Schneewittchenmörder sah Troy mit schmerzerfüllten Augen an. „Was hast du getan?“
Der Lehrling zuckte mit den Schultern. „Sie war im Weg. Und sie wollte uns verraten. Ich musste sie zum Schweigen bringen.“
„Hast du? Hast du das wirklich getan? Oder hast du nur wieder die Sache in die eigenen Hände genommen? Dann hilf mir Gott …“ Der Schneewittchenmörder stürzte sich auf den Mann, den er ausgebildet hatte, aber der war zu flink und tanzte leichtfüßig davon.
„Was hast du von mir erwartet, alter Mann? Dass ich sie am Leben lasse? Dass ich irgendeinen von euch weitermachen lasse? Da habt ihr euch geirrt. Da habt ihr euch ganz böse geirrt.“
Er schnappte sich den Schürhaken vom Kamin und ging auf seinen Lehrmeister los. Doch bevor er vier Schritte tun konnte, zuckte er zurück. Sein Mund öffnete sich, aber das Dröhnen einer Waffe übertönte seinen Schrei.
Joshua kam ins Zimmer zurück, eine Pistole in der zittrigen Hand. Er zog den Abzug noch einmal durch, aber Troy sah es kommen und duckte sich, rollte sich vom Kamin weg, vom Schneewittchenmörder. Er schaffte es zur Tür, bevor Joshuas leere Augen ihn erneut ins Visier nehmen konnten, und verschwand in der Dunkelheit des Flurs.
Joshua ging zur Tür und verriegelte sie, schloss seinen Vater und sich in der Bibliothek ein. Der Schneewittchenmörder sackte geschwächt in seinen Stuhl zusammen, stieß ein tiefes, klagendes Wimmern für seine Tochter aus. Sein Sohn gesellte sich zu ihm, hielt ihn, und gemeinsam weinten sie um Charlottes Seele.
Taylor ging zur CJC zurück und fand die Büros beinahe vollkommen verwaist vor. Die meisten Kollegen hatten die ganze Woche freigenommen und genossen ihre Weihnachtsferien. Ihr schossen all die Dinge durch den Kopf, die verhindert hatten, dass sie selber Flitterwochen machte, doch sie schob die Gedanken schnell beiseite. Irgendwann wäre Zeit, das nachzuholen.
Auf dem Weg ins Büro hatte sie Captain Price angerufen und ihm von der aufgefundenen Akte erzählt. Sie war nicht ins Detail gegangen, aber auf den ersten Blick schien der Hefter all ihre Vermutungen zu Burt Mars und Edward Delglisi zu bestätigen. Ihr nächster Anruf galt Baldwin. Sie bat ihn, sich mit ihr zu treffen und die Informationen gemeinsam mit ihr durchzugehen. Mit etwas Glück fand sich in diesen Papieren der Schlüssel zu Delglisis Untergang. Was auch immer Richardson entdeckt hatte, es hatte ihn getötet. Sie war bereit, es sich anzuschauen, egal was für Fakten über ihre Familie dabei ans Licht kommen würden. Baldwin hatte ihr das Versprechen entlockt, mit der Durchsicht der Akten zu warten, bis er bei ihr war. Die Anspannung brachte sie fast um.
Sie spielte mit einer Ecke des Hefters,
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