Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
durch den Tanzclub am Potsdamer Platz. Es war seltsam, aber er hatte das Gefühl, als würden die Leute ihn mit weniger Begeisterung grüßen als sonst. Und manche grüßten ihn gar nicht mehr, oder taten so, als hätten sie ihn nicht gesehen. Es schien fast, als wäre sein Karriereende auch das Ende des Interesses an seiner Person. Ein paar Mal blieb er stehen, um mit jemandem zu plaudern, aber meistens nur kurz. In allen Fällen zielten die Fragen sofort auf seinen Gesundheitszustand ab, was er mit ein paar Plattitüden beantwortete. Irgendwann wiederholte er einfach, was diese Krankenschwester Kiara Jonas aus dem „Pour Elles“ ihm gesagt hatte – er würde sich eine andere Sportart suchen, bei der er sein Bein weniger brauchen würde.
Nur einer der Gäste, ein Mann, der gerade aus Amerika zurückgekehrt war, sprach ihn auf die Schlägerei in New York an. Offensichtlich hatte er dort davon erfahren. In Deutschland war die Affäre glücklicherweise nicht an die Öffentlichkeit gelangt.
„Amüsierst du dich?“, schnurrte eine weibliche Stimme hinter ihm, nachdem er sich von einer beleibten Frau verabschiedet hatte, die das Gespräch erstaunlich schnell abgebrochen hatte, als sie hörte, dass die Gerüchte um seinen Gesundheitszustand stimmten.
„Nur bedingt“, antwortete er Josephine, die ihre Hand auf seinen unteren Rücken gelegt hatte.
„Dann werde ich dich gerne aufheitern“, erwiderte sie.
„Danke, nicht nötig. Ich bin müde und werde gleich nach Hause fahren.“
„Schade. Aber vielleicht sehen wir uns nun öfter im ‚Pour Elles‘?“, wollte sie wissen. „Du hast doch jetzt Zeit.“
Jack verzog das Gesicht. „Das ist völliger Quatsch“, knurrte er. „Bloß weil ich keine Leichtathletik mehr mache, heißt das nicht, dass ich dem Sport ganz dem Rücken kehre. Ich werde mir eine andere Sportart suchen.“ Der Gedanke, den Kiara ausgesprochen hatte, hatte sich inzwischen in seinem Kopf dermaßen festgesetzt, dass er an gar nichts anderes denken konnte. „Ich werde mir etwas suchen, wobei ich mein Bein weniger benötige, zum Beispiel Rudern.“
„Oder Kanu?“, half sie ihm lächelnd. „Wird da nicht nur gekniet?“
„Ja, irgend so etwas. Oder Bogenschießen. Oder Rennrodeln.“
„Oder Bobfahren.“
„Oder Autorennen fahren.“ Er hielt inne, als müsse er den Geistesblitz festhalten. „Das ist es!“, rief er.
„Was?“
„Das mache ich.“
Josephine schüttelte amüsiert den Kopf. „Was auch immer es ist, ich hoffe, du hast Spaß dabei. Aber vielleicht solltest du doch öfter mal ins ‚Pour Elles‘ schauen. Das ist nur ein gut gemeinter Rat an dich.“ Sie wurde ernst.
„Was meinst du?“
„Ich meine, dass dein Vater nicht möchte, dass du Einblick in die Geschäfte bekommst. Und ich fürchte, er hat einen triftigen Grund dafür.“
„Was für einen Grund?“ Jack wurde hellhörig.
Josephine zuckte mit den Schultern. „Mehr kann ich dir nicht sagen. Aber ich möchte, dass du wenigstens weißt, dass du ihm nicht trauen kannst. Und vielleicht überlegst du mal, woher die Presse wusste, dass es nicht so gut um deine Gesundheit bestellt ist. Leider sitze ich zwischen zwei Stühlen, aber irgendwie mag ich dich lieber als deinen Alten, daher warne ich dich.“
Jack sah sie an, als hätte sie ihm vorgeschlagen, ab morgen eine Woche Urlaub auf dem Mond zu machen. „Bist du verrückt? Du willst doch nicht etwa andeuten, dass ...“
„Ich will gar nichts andeuten, Jack“, unterbrach sie ihn eilig. Offenbar bereute sie ihre vorschnellen Worte. „Vergiss es. Es war nur ein gut gemeinter Rat, deinem Vater hin und wieder auf die Finger zu schauen. Das ist alles.“
Jack überlegte einen Moment, doch dann winkte er ab. „Soll mein Vater machen, was er will. Ich habe keine Lust auf den Laden. Ich war schon viel zu lange viel zu sehr damit beschäftigt. Das ‚Pour Elles‘ interessiert mich nicht die Bohne. Und damit hat sich das Thema erledigt.“
„Ich hoffe nur, dass du deine Meinung nicht bereuen wirst.“
Er runzelte die Stirn bei diesen Worten, doch dann wischte er ihre Worte aus der Luft. „Was soll schon passieren?“
„Du kennst deinen Vater offenbar weniger gut als ich“, erwiderte sie. „Aber du wirst schon wissen, was du tust. Du bist alt genug.“
Nun winkte sie ab. Und damit hatte sich das Thema wirklich erledigt.
XIII
Kiara erlebte mal wieder eine grauenhafte Nacht. Die Schmach, die man ihr in dem Tanzclub angetan hatte, hatte sich in
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