Tenebra 2 - Dunkle Reise
wir bedienten uns des Dunkels, um es zu tun. Er kam so ums Leben…«
Einer nach dem anderen berichteten wir alles, ohne etwas zu beschönigen oder zurückzuhalten. Wie Grames uns getäuscht und wir ihn dafür getötet hatten. Wie meine Wut und ihre Kraft sich zur Vergeltung verbanden und sich in verwerflicher Weise des Dunkels bedienten. Wir erzählten alles bis zum Ende, ohne etwas anderes als die Bodenfliesen zu sehen, ohne etwas anderes als die Stimmen der Erinnerung zu hören. Wir fühlten nichts als Trauer und Bedauern, und als Arienne sprach, hob sie die Hand zu mir, und wir sahen ihnen Hand in Hand in die Augen, als die elende Geschichte erzählt war.
Es war getan. Ich war außer Stande, Silvus anzusehen. Auch ihn hatte ich mit uns selbst verurteilt. Ich schloss einen Moment lang die Augen und lauschte in die Stille. Unser Geständnis hatte die Schwestern erschreckt.
Barras brach triumphierend das Schweigen. »Sie alle haben es gehört. Dies ist ein eindeutiger und schwerer Verstoß gegen Ihre kostbaren Gesetze, wenn überhaupt noch ein Gesetz zählt.«
Ich blickte auf. Priorin Winterridge sah mich an, wie jemand eine Wurst von zweifelhaftem Zustand betrachtet. Dann schien sie sich zu schütteln und verlagerte den kalten grünen Blick zu Barras. »Was sagten Sie eben, Leutnant de Barras?«, fragte sie, und ihre Stimme klang wie der Wind von den Gletschern des Nordens.
Er lächelte. »Sie haben es gehört, Priorin. Die Beklagten haben es gerade zugegeben. Sie bedienten sich des Dunkels, um einen Menschen zu töten. Sie müssen sie jetzt ausliefern.«
Priorin Winterridge sah zu ihren Kolleginnen vom Konklave. Es war das erste Mal, dass ich eine Unsicherheit an ihr bemerkte. Ihre Züge verrieten deutlich den inneren Kampf. Es blieb eine Weile still. Dann sagte eine der hochrangigen Schwestern, die mir alle unbekannt waren: »Dieser Mann hat ein Grab entweiht…«
»Einen Toten beraubt«, sagte eine andere. »Eine Seele der Ruhe beraubt«, sagte eine dritte.« Die Stimmen mehrten sich, kamen jetzt aus allen Richtungen.
»Schlug einen Mann zum Vergnügen halb tot…«
»Foltert Menschen und brüstet sich damit…«
»Schoss auf eine unbewaffnete Frau…«
»Versuchte die Priorin zu ermorden…«
»Was?«
»Ja. Noch dazu auf einem Hofball, wie ich hörte…«
»Und will eine Akademie des Dunkels errichten…«
Nun kam ein entrüsteter Aufschrei: »Er sagt uns, was wir zu tun haben?«
Und ein Tumult vieler Stimmen: »Nein!« – »Niemals!« – »Schwester Priorin, sag ihm…«
»Schwestern, Schwestern! Ruhe!« Die silberhelle Stimme übertönte den Lärm und unterdrückte ihn zugleich. Zornig funkelte sie in die Runde, und alle schwiegen still wie ein Klassenzimmer voll fehlgeleiteter Schulmädchen. »Das Gesetz, das Leutnant Barras so geringschätzig erwähnt, ist noch immer das Gesetz der Göttin. Wir schufen es mit Ihrer Hilfe. Und es ist in der Frage des Umgangs mit dem Dunkel eindeutig. Durch ihr eigenes Bekenntnis haben diese… jungen Leute es getan, und es hat zu Totschlag geführt. Sollen wir es unbeachtet lassen? Ich sage euch, dass wir in diesem Fall die Göttin selbst unbeachtet lassen würden.«
Es blieb still. Schließlich räusperte sich jemand hinter ihr. »Darf ich sprechen, Schwester Priorin?«
Es war eine weißhaarige Schwester, vielleicht ein wenig beleibter als die meisten. Sie erhob sich, auf einen Stock gestützt.
»Selbstverständlich, Schwester Magistra. Wer könnte uns besser beraten als diejenige, die der Laienschaft unsere Gesetze nahebringt?«
Die ältere Schwester nickte. Ihr Gesicht war kühl, streng. »In der Tat. Dies ist eine Deutungsfrage des Gesetzes, das, wie Schwester Priorin sagt, nicht unbeachtet bleiben darf. Nun haben wir gerade das Geständnis eines Verbrechens gehört. Es ist, wie ich glaube, das Einzige unserem Gesetz bekannte, das von diesen Leuten verübt wurde, aber es ist ein sehr ernstes Delikt. Totschlag ohne rechtfertigende Ursache – wie etwa der Schutz von Hilflosen – ist schlimm genug, selbst wenn keine Tötungsabsicht bestand. Aber der Gebrauch des Dunkels macht es schlimmer. Sehr viel schlimmer.« Sie machte eine Pause und schüttelte den Kopf, war aber offensichtlich noch nicht fertig. Als sie ihren Griff am Stock befestigte und sich schwerer darauf stützte, konnte ich sehen, dass sie drei Finger ihrer rechten Hand verloren hatte. Die geraden, weißen Narben, die über diese Hand liefen, waren nicht von der Art, wie man sie
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