Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer
vernichtende wie für den normalen Menschen.
»Ist dieser Zustand die Unsterblichkeit, Don Juan?« fragte ich. »Er ist keineswegs die Unsterblichkeit«, antwortete er. »Es ist lediglich der Beginn eines evolutionären Prozesses mit Hilfe des einzigen Mittels zur Evolution, das der Mensch besitzt: des Bewußtseins. Die Zauberer meiner Tradition waren davon überzeugt, daß sich der Mensch biologisch nicht weiterentwickeln kann. Daher hielten sie das Bewußtsein des Menschen für das einzige Mittel zur Evolution. Im Augenblick des Sterbens werden die Zauberer nicht vom Tod ausgelöscht, sondern in anorganische Wesen verwandelt - Wesen, die Bewußtsein haben, aber keinen Organismus. Die Verwandlung in ein anorganisches Wesen bedeutete für sie Evolution. Das hieß, es wurde ihnen eine neue, unbeschreibliche Form von Bewußtsein verliehen, ein Bewußtsein, das zwar Millionen von Jahren Bestand haben würde, aber irgendwann ebenfalls an den Geber, an das dunkle Meer des Bewußseins, zurückerstattet werden muß.«
Eine der wichtigsten Entdeckungen der Schamanen aus Don Juans Tradition war, daß unsere Welt, wie alles andere im Universum, eine Kombination zweier entgegengesetzter und zugleich komplementärer Kräfte ist. Eine dieser Kräfte ist die Welt, wie wir sie kennen, die von den Zauberern als Welt der organischen Wesen bezeichnet wurde. Die andere Kraft ist etwas, das sie die Welt der anorganischen Wesen nannten.
»Die Welt der anorganischen Wesen«, sagte Don Juan, »ist von Wesen bevölkert, die Bewußtsein, aber keinen Organismus haben. Es sind wie wir Konglomerate von Energiefeldern. Für das Auge des Sehers sind sie keine leuchtenden Wesen wie wir Menschen, sondern eher dunkel. Es sind keine runden, sondern längliche, kerzenähnliche Energie-Konfigurationen. Im wesentlichen sind diese Wesen Konglomerate von Energiefeldern, die genau wie wir Zusammenhalt und Grenzen haben. Sie werden von derselben agglutinierenden Kraft zusammengehalten, die unsere Energiefelder zusammenhält.«
»Wo ist diese anorganische Welt, Don Juan?« fragte ich.
»Sie ist unsere Zwillingswelt«, antwortete er. »Sie existiert im selben Raum und in derselben Zeit wie unsere Welt, aber die Art des Bewußtseins unserer Welt ist so verschieden von der Art des Bewußtseins der anorganischen Welt, daß wir die Prä- senz der anorganischen Wesen niemals registrieren, obwohl sie uns sehr wohl bemerken.«
»Sind diese anorganischen Wesen weiterentwickelte Menschen?« fragte ich.
»Keineswegs!« rief er. »Die anorganischen Wesen unserer Zwillingswelt sind von Anfang an ihrem Wesen nach anorganisch, so wie wir ebenfalls von Anfang an schon immer unserem Wesen nach organische Wesen sind. Es sind Wesen, deren Bewußtsein sich genau wie unseres entwickeln kann. Das geschieht zweifellos, aber ich habe keine unmittelbare Kenntnis, auf welche Weise. Ich weiß allerdings, daß ein Mensch mit einem entwickelten Bewußtsein ein hell leuchtendes, rundes anorganisches Wesen von besonderer Art ist.«
Don Juan gab mir eine Reihe von Beschreibungen des Evolutionsprozesses, die ich stets für poetische Metaphern hielt. Ich suchte mir eine aus, die mir besonders gefiel: die absolute Freiheit. Ich stellte mir vor, daß ein Mensch, der die absolute Freiheit erreicht, das mutigste und phantasievollste Wesen sein müsse. Don Juan sagte, dies sei in der Tat der Fall. Ein Mensch, der die absolute Freiheit erreichen will, braucht dazu die sublime Seite seines Wesens. Alle Menschen haben sie, aber es kommt ihnen nie in den Sinn, sich ihrer zu bedienen.
Das zweite, das pragmatische Ziel der Rekapitulation war für Don Juan das Erlangen von Flexibilität. Die Zauberer begründeten diese Zielsetzung mit einem der unbegreiflichsten Erkenntnisse der Zauberei: dem Montagepunkt. Es ist eine Stelle von intensiver Leuchtkraft und der Größe eines Tennisballs. Er ist für die Zauberer wahrnehmbar, wenn sie einen Menschen als Konglomerat von Energiefeldern sehen.
Zauberer wie Don Juan sehen, daß Billionen von Energiefel - dern in Form von Lichtfasern aus dem ganzen Universum im Montagepunkt zusammenlaufen und durch ihn hindurchgehen. Dieser Zusammenfluß leuchtender Fasern gibt dem Montagepunkt seine Brillanz. Der Montagepunkt ermöglicht es dem Menschen, jene Billionen von Energiefasern wahrzunehmen, indem er sie in sensorische Daten verwandelt. Danach deutet der Montagepunkt diese Daten als die alltägliche Welt, das heißt, er deutet sie im Sinn der menschlichen
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