Tentakelwacht
Rechtsbeistand zu suchen, dann teilen Sie mir dies bitte jetzt mit.«
Roby schnaubte. Wer genug Geld hatte, überwies es direkt an den zuständigen Staatsanwalt. Niemand hielt sich dann noch lange mit Anwälten auf. Deswegen waren 90 % derjenigen, die in diesem Beruf arbeiteten, auch nur schmierige Wadenbeißer, die die Krümel aufsammelten, die das System ihnen auf den Boden warf.
»Gut!« Joks lächelte sonnig. »Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir eine Hinrichtung werden verhindern können, mein Freund. Sehr zuversichtlich. Ich habe große Erfahrung in derlei.«
Das glaubte ihm Roby aufs Wort.
»Die Anklage lautet: ›Einbruch und schwerer Diebstahl‹. Außerdem: ›Widerstand gegen die Staatsgewalt‹.«
Roby grinste. »Widerstand, ja? Ich wurde durch ein Alarmsystem mit Gas betäubt.«
Joks schaute mit scheinbarer Sorgfalt auf seine Papiere. »Hier habe ich die eidesstattliche Zeugenaussage von zwei Polizisten, nach der Sie sich heftig gewehrt hätten. Beleidigungen hätten Sie ausgestoßen.«
Roby schüttelte nur den Kopf. Da wollte man offenbar ganz auf Nummer sicher gehen.
Joks warf seine Stirn in sorgenvolle Falten. Er faltete seine Hände vor sich auf dem Tisch und sah aus, als wolle er gleich eine Predigt halten. Es war deutlich erkennbar, dass ihm der Verfall von Moral und Sitte sehr zu Herzen ging, er nahezu persönlich darunter litt.
»Ashwell, ich will ganz offen sein«, ölte er salbungsvoll. »Da kommen Sie nicht mehr raus. Der Staatsanwalt hat Blut geleckt. Er wird Sie und Ihre Kumpane von allen Seiten braten und dann die Todesstrafe fordern. Das ist unausweichlich.«
»Ich dachte, Sie wären zuversichtlich?«, fragte Roby. Dem Anwalt entging die Ironie der Frage entweder oder er ignorierte sie bewusst.
»Natürlich, natürlich! Wir werden Weiterungen zu verhindern wissen! Ich habe bereits einen umfassenden Schriftsatz vorbereitet!«
Roby fühlte sich nicht besser. Er wartete darauf, dass Joks endlich zum eigentlichen Thema kam.
Der Anwalt enttäuschte ihn nicht.
»Ashwell, ich sehe da einen Ausweg. Ich kann Ihr Leben retten. Vielleicht wird sogar noch was aus Ihnen. Eine Chance, wie man sie nur einmal im Leben bekommt.« Er machte eine Kunstpause. »Melden Sie sich freiwillig zu den Streitkräften. Gehen Sie auf Tentakelwacht. Helfen Sie uns, in Sicherheit und Frieden zu leben. Ihr Vorstrafenregister wird gelöscht, und nach 25 Jahren Dienstzeit kehren Sie als angesehenes und respektiertes Mitglied der Gesellschaft zurück.«
Joks versuchte, durchdringend zu schauen, aber wirkte mit seinem eher wässrigen Blick nicht sehr überzeugend. Roby seufzte.
Als ob er eine Alternative hätte.
Er lächelte schwach und nickte.
Joks war gut vorbereitet. Mit einer fließenden Bewegung holte er ein weiteres Papier aus seiner Tasche. Roby kannte es gut. Es war ein Anwerbebogen der Tentakelwacht. Er war sich sicher, dass Joks davon einen ganzen Stapel in seinem Büro liegen hatte. Schließlich stellten diese Formulare seinen Lebensunterhalt dar.
»Hier – Sie müssen nur hier unterzeichnen. Dann gibt es nicht einmal mehr ein Verfahren. Ich habe schon alles für Sie vorbereitet!« Joks grinste aufmunternd.
Roby las das Formular gar nicht erst durch. Er unterzeichnete wortlos, drückte seinen Daumen auf die vorgesehene, mit einer Spezialschicht überzogene Stelle und schob das Formular Joks zu, der es mit freudigem Lächeln einsammelte.
»Ausgezeichnete Entscheidung. Sehr gute Wahl. Ich beglückwünsche Sie. Sie werden etwas aus sich machen, dessen bin ich mir sicher. Sie sind ein aufstrebender, intelligenter junger Mann.«
Roby nickte nur. Wie aus dem Nichts tauchte ein Polizist auf. Draußen, dessen war sich Roby sicher, würde bereits ein Gleiter der Tentakelwacht warten. Noch während er sich erhob, wurde Slap hereingeführt. Sie wechselten nur einen kurzen Blick.
Joks blieb sitzen.
Der Anwalt hängte sich heute wirklich rein.
3
Es regnete.
Es war diese Art von Regen, die einen wirklich durchdrang.
Er war nicht einmal besonders heftig, nur sehr beständig, dicht, fast wie ein Nebel, und fiel angesichts der völligen Windstille senkrecht vom bleiernen Himmel. Es war früher Herbst und es wurde kühl.
Roby fand, dass die Farbe des Himmels sehr gut zu den grauen Betonklötzen passte, die seit gestern seine neue, wenngleich vorübergehende Heimat waren. Graue Plastikbaracken waren die größte architektonische Abwechslung neben den steinernen, quadratischen
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