Terroir
Sammlerobjekte. Nicht nur kleine Kinder können mit einem Hammer in den Felsen der Laubach-Schicht ihren naturwissenschaftlichen Forscherdrang ausleben.
Den Weinfreak drängeln natürlich ganz andere Triebe. Wie schmeckt Laubach? Wie zu erwarten ein wenig kalkig. Besonders im direkten Vergleich mit benachbarten Weinbergen erinnert diese Schieferformation mit einer leicht rauchigen, würzig-nussigen Nase und floralen, kühl-flüchtigen Noten immer ein wenig an Burgund. Am Gaumen setzt sich der nasale Eindruck konsequent mit würzigen mineralisch-schiefrigen Komponenten fort, die von einem samtigen Schmelz getragen sind und sehr lange nachklingen.
So könnten auch Weine aus dem Bopparder Hamm schmecken, hätten wild gewordene Ingenieure der Kultur(sic!)ämter im Rahmen der Flurbereinigung hier nicht die Aufschüttung von fremdem Boden veranlasst. Wie in so vielen anderen traditionellen Weinbergen haben mit Planierraupen bewaffnete Rambos Terroirkultur auf dem Altar der kurzfristigen Produktivität geopfert.
An der Mosel, die die Laubach-Schichen an mehreren Stellen kreuzt, gibt es heute nur noch zwei nennenswerte Weinberglagen, die von den grauen, fossilhaltigen Felsen geprägt sind, die Senheimer Lay und der Winninger Uhlen im Bereich Laubach. In den historischen Klassifikationskarten sind beide in die höchste Qualitätsstufe eingeordnet, genauso wie der jetzt leider brachliegende Weinberg in Koblenz, der zu einem Kloster der Karthäuser gehörte und dessen Felsen für die Namensgebung verantwortlich sind. Hier, im Steinbruch der Laubach, wurde die Schieferformation erstmalig beschrieben und wie üblich nach ihrem Entdeckungsort benannt.
Wer den Felsen der Laubach-Schicht die Hülle abschlägt, wer die reifen Trauben schonend und mit Liebe vinifiziert, dem entsteigt aus dem samtenen Meeresboden eine Wolke aus kühlem, nussigem Rauch mit festem mineralischem Rückgrat, samtiger Eleganz und großer Tiefe.
Aber: Auch wenn der Wein jedes Jahr und auch bei anderen Winzern ein ähnliches Geschmacksprofil ausweist, wer sagt denn, dass das nicht an der Rebsorte, am Klima und an der Vinifikation liegt, dass dies wirklich der Geschmack des vierhundert Millionen Jahre alten Meeresbodens ist? Wie schmeckt Laubach wirklich? Der Zen-Meister würde antworten:
Meditiere über das Kõan ‚Erinnere dich an den Geschmack dieses Weins, bevor der Mensch hier einen Weinberg anlegte‘
Für die Pythagoräer war völlig klar, dass die Welt sich als Proportion von ganzen Zahlen darstellen lässt, wie die Töne einer Tonleiter, die man durch Halbieren, Dritteln und so weiter einer bestimmten Saitenlänge erhält. Wie schon in den alten chinesischen Kulturen sprach Pythagoras von männlichen und weiblichen Zahlen. Als kosmologisches Ordnungsprinzip kann die Welt mit ihnen erklärt werden, vom Geiseltierchen über den Skelettaufbau der Tetrapoden bis hin zu den Umlaufbahnen der Planeten. Alles lässt sich als ganzzahlige Proportion beschreiben, und dies dient in der heutigen Esoterikliteratur immer wieder als Beweis für die Beseeltheit der Welt. Auch für die Buddhisten ist die ganze Welt Klang, ein Sound Brahmas, des Weltschöpfers. Aber die Buddhisten begehen nicht den Fehler der alten und neuen Pythagoräer, das bis auf die letzte Kommastelle ausrechnen zu wollen. Denn das Problem ist: Die These von den ganzzahligen Proportionen ist falsch, weil sie nur näherungsweise stimmt. Angeblich ist schon Pythagoras bei seinen Musikexperimenten darauf gekommen, denn bei einer Abfolge von reinen Quinten kommt es zu kleinen, aber doch hör- und messbaren Abweichungen von der theoretisch erwarteten Frequenz. Um das auszugleichen, wird ja das Klavier nicht nach reinen Quinten „richtig“, sondern „temperiert“ gestimmt.
Wann gehen wir Menschen in Resonanz? Wann erleben wir Musik als „schön“? Immer wieder wird in der Musikszene über den Reiz der minimalen Abweichung diskutiert. Die Praxis zeigt, dass wir nicht bei der Perfektion in Resonanz gehen, sondern im Gegenteil das Perfekte eher als kalt und abweisend erleben. Was ist die perfekt ausbalancierte und computerbehandelte Studioaufnahme gegen den Mitschnitt eines Livekonzerts mit verpatzen Einsätzen und Räuspern.
Auch beim Instrument selbst: Im klanglichen Chaos der ersten Millisekunden, der Zeit, die es dauert, bis der Ton sich aufgebaut hat, verstecken sich die spannenden Informationen über die Art des Musikinstruments, die Individualität des Interpreten. Wenn man diese
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