Terror von Rechts
NSU-Terrorserie aufgegangen. Während die Verunsicherung bei Migranten wuchs, fielen Politik und große Öffentlichkeit erst im November 2011, also fünf Jahre später, aus allen Wolken: Neonazis, die Ausländer ermorden – und das ausgerechnet in Deutschland? Unfassbar, so die Reaktionen. Aber warum sollte es ausgerechnet in Deutschland keine Nazis geben, die morden? Es mag nicht zum modernen Selbstbild der Berliner Republik passen, doch in den vergangenen 100 Jahren – die NS-Zeit sogar noch ausgeklammert – sind in Deutschland Hunderte Menschen von Rechtsextremen ermordet worden. Manchmal lohnt sich ein Blick in die Geschichtsbücher, auch im 21. Jahrhundert – und selbst für die Weltmeister der Vergangenheitsbewältigung.
Neue Qualität?
»Unfassbar«, »unglaublich« – das waren die vorherrschenden Begriffe, welche die ersten Reaktionen auf das Bekanntwerden der NSU-Terrorserie prägten. In der Tat unfassbar: Rechtsterroristen konnten ungestört durch Deutschland reisen, in verschiedenen Großstädten Menschen erschießen und danach wieder abtauchen – am helllichten Tag, während die Ermittler jahrelang im Dunkeln tappten und noch nicht einmal das Motiv der Terrorserie erkannten. Unglaublich zudem, dass die Gefahr durch den Rechtsterrorismus in Deutschland so lange von Politik und Öffentlichkeit ignoriert und von den Behörden verharmlost werden konnte. Durch einen Wahrnehmungsfilter, erklärt der Politologe Gideon Botsch, werde rechtsextreme Gewalt als spontan, unorganisiert und dumpf wahrgenommen, was zwar oft, aber längst nicht durchgehend zutreffe. Dass dies längst nicht immer der Fall ist, haben Anschläge und Überfälle, Waffenfunde und Wehrsportgruppen der extremen Rechten in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt – eine unselige Tradition, die weiterlebt – in Deutschland sowie im Rest von Europa.
Die jüngsten Mordtaten: In Italien erschoss Gianluca Casseri am 13. Dezember 2011 zwei senegalesische Immigranten, drei weitere verletzte er teilweise schwer, bevor er sich in seinem Auto selbst tötete. Der Täter war kein Unbekannter, er war Buchautor und Anhänger der neofaschistischen Vereinigung Casa Pound – die bei deutschen Neonazis als vorbildlich gefeiert wird, unter anderem bei einem NPD-nahen »Bildungswerk« in Sachsen. Politische Beobachter nannten den Täter einen italienischen Breivik.
Casseris mögliches Vorbild, Anders Behring Breivik, schockte im Juli 2011 Norwegen und ganz Europa, als er 77 Menschen ermordete, die meisten waren junge Mitglieder der norwegischen Arbeiderpartiet, die am jährlichen Sommercamp der Sozialdemokraten auf Utøya (
øy
bedeutet auf Norwegisch »Insel«) teilnahmen. Über Jahre hatte Breivik seine Anschläge bis ins kleinste Detail geplant und vorbereitet, die Polizei durch die Bombenexplosionen in Oslo noch in die Irre geführt, damit er auf Utøya ungestört die Jugendlichen ermorden konnte. Der Rechtsextremist wähnte sich bei seiner Tat in einer Notwehrsituation, wie aus seinem »Manifest«, welches größtenteils aus Blogs der »islamkritischen« Bewegung zusammenkopiert wurde, hervorgeht. Breivik sah demnach, was sehr typisch für die rechtsextreme Ideologie ist, zwei Bedrohungen: zum einen durch den äußeren Feind, hier den Islam, der durch ein angebliches Komplott die Weltherrschaft anstrebe und zum anderen durch die »Gutmenschen«, wie sie in Deutschland verächtlich genannt werden, Nachkommen der Frankfurter Schule, wie Breivik schrieb, oder einfach Linke, welche sich zu Komplizen dieser islamischen Landnahme gemacht hätten, sei es aus purer Dummheit, Naivität oder Vaterlandshass. Die Figur des »Volksverräters« also.
Eine rassistisch motivierte »Islamkritik« hatte sich in den vergangenen Jahren als effektivstes Instrument der extremen Rechten in Europa bewährt – Breiviks Tat wurde in den einschlägigen Blogs aber als Bürde für die Bewegung bewertet. Die »islamkritische« Szene (wenn sich jemand ausschließlich als Kritiker einer bestimmten Sache definiert, sollte man hellhörig werden, man denke beispielsweise an die »Israel-Kritiker«) versuchte nach den Anschlägen mit der von ihr gewohnten verbalen Aggressivität und Lautstärke, jeden ideologischen Zusammenhang zwischen der Hetze gegen Muslime und Breivik zurückzuweisen. Es gab auch einige moderatere Töne, aber der Großteil der Szene posaunte es hinaus: Breivik sei ein einzelner Irrer gewesen, der mit der Islamkritik nichts zu tun habe. Angesichts des
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