Terror von Rechts
Abschreckung benutzt. Ihre Opfer wählt sie völlig willkürlich aus. Deshalb kann die Polizei auch keine Verbindung finden – es gibt keine.« Damit lieferte der oft zitierte Christian Pfeiffer auch gleich eine Entschuldigung für die ergebnislosen Ermittlungen – die Polizisten hätten gar keine Gemeinsamkeiten finden können, so seine Theorie, mit der jeder Serienmord erklärt werden könnte. Aber es gab eine Gemeinsamkeit: Sämtliche Opfer außer die Polizistin Michèle Kiesewetter waren Migranten – und damit Feinde der Rechtsextremen, die Exekutionen als Heimatschutz definieren. Gefragt wurde nicht danach, was die Ermordeten als Opfergruppe gemeinsam haben, sondern was sie als potentielle Täter verbinden könnte. Die
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wählte für ihren Artikel die fürchterliche Überschrift: »Döner-Killer holten Opfer Nr. 9«. Die Täter mordeten oder töteten nicht, sie holten: das klingt nach einem Drachen, der die Jungfrau holt – oder eben nach einem Döner, den man sich an der Ecke holt.
Der Begriff »Döner-Morde« wurde folgerichtig zum Unwort des Jahres 2011 gekürt, alle waren plötzlich hell empört über den rassistischen Begriff – dabei hatten fast alle Medien diesen zuvor benutzt. Kein Wunder also, dass die Ausgrenzungsmechanismen weiterhin greifen, auch nachdem die rassistische Mordserie bekannt wurde. Anlässlich der Trauerfeier für die Opfer der rechtsextremen Gewalt am 23. Februar 2012 wurde in den Medien über Parallelgesellschaften gefachsimpelt – über türkische, nicht über Neonazi-Erlebniswelten, versteht sich. Der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky betonte nach der Trauerfeier, es gebe ja auch viele Probleme bei der Integration, so könnten mehr als 70 Prozent der Erstklässler mit Migrationshintergrund in Neukölln kein Deutsch. In Neukölln ermordeten die NSU-Terroristen übrigens keinen Migranten, Berlin war offenkundig gar nicht betroffen von der Terrorserie. Was also hat das Ganze mit der rassistischen Mordserie und dem Gedenken an die Opfer zu tun? Ist es den Migranten vielleicht anzulasten, dass sie zum Ziel rassistischer Anfeindungen von Deutschen werden, weil diese über die mangelhaften Deutschkenntnisse der »Kopftuchkinder« in Neukölln verärgert sind? Und was sollte Heinz Buschkowsky eigentlich zum Thema Rechtsterrorismus beitragen? Warum stand im Fernsehen kein Fachmann für Rechtsterrorismus, der über die rechtsextreme Bedrohung referierte, sondern ein Star der Integrationsdebatte, zwar kein Thilo Sarrazin, aber immerhin sein Berliner Parteifreund, ein Medienstar, wenn es um das Thema Integration geht, der gern polarisiert, aber der wirklich noch nie wegen seiner Fachkompetenz zum Thema Rechtsterrorismus aufgefallen war? Und wurde bei Trauerfeiern für RAF-Opfer eigentlich mit einem marxistischen Ökonomen über die Nachteile des Kapitalismus debattiert? Glücklicherweise nicht. Den meisten Zuschauern dürfte kaum aufgefallen sein, was da gerade abgelaufen ist, als sich Heinz Buschkowsky anlässlich einer Trauerrede von rassistischen Mordopfern über die angebliche mangelhafte Integration ausließ. Genau so funktioniert der Rassismus der »schweigenden Mehrheit«, die leider fast nie schweigt.
Wie wirkungsmächtig die angeblich schweigende Mehrheit ist, wurde in Deutschland in den vergangenen Jahren mehrmals deutlich, als die Menschen in diesem Land immer wieder in »wir« und »die« eingeteilt wurden, beispielsweise in der sogenannten Integrationsdebatte, die in Wirklichkeit eine Ausgrenzungsdebatte war; millionenmal wurde »mal was gesagt«, weil »man das ja wohl mal sagen dürfte«. Die Rassismus-Experten bei NPD und Konsorten waren begeistert, auch wenn sie als die echten Fachleute für biologistische Thesen bei Sarrazin-Veranstaltungen nur im Publikum saßen – und nicht auf dem Podium. Denn mit Nazis will man nichts zu tun haben. Eine Rebellion des verrohenden Bürgertums gegen die, die unter ihnen stehen und keine Lobby haben, Feigheit und dumpfe Vorurteile wurden als Mut und kritisches Denken verkauft. Und selbst im direkten Umfeld der Trauerfeier, mit dem der Opfer der deutschen Rassisten gedacht wurde, konnten die »mal-Sager« nicht wenigstens einmal schweigen.
Glücklicherweise gab es aber viele andere Stimmen, wie die von Semiya Şimşek, Tochter des ermordeten Blumenhändlers Enver Şimşek, die in ihrer beeindruckenden Rede während der Zeremonie die Demütigungen durch das Verhalten der Polizei und der Öffentlichkeit erklärte. Semiya
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