Terror von Rechts
und Integration prägen die europäische Geschichte seit ihren Anfängen. Heute stehen sie aus aktuellen Gründen im Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit. Viele Europäer halten die neuen Herausforderungen für eine historische Ausnahmesituation. Sie irren. Wanderungsbewegungen waren seit jeher Teil der europäischen Geschichte. Viele, die sich gegenwärtig über die Integration von Fremden sorgen, wissen nicht, dass sie selbst ferne Nachfahren von Zuwanderern sind. Kultur ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Darin findet jede Zeit ihre eigene Form. Man muss also immer genau hinsehen, was zu welcher Zeit unter »Kultur«, »deutsch« und »Volk« verstanden wurde. Die deutsche Kultur wie das deutsche Volk sind Ergebnis der verschiedensten kulturellen Einflüsse in einem Kulturaustausch, aus dem Europa als Kulturregion hervorgegangen ist. Durch Zuwanderung geprägte Zeiten hat es dabei immer wieder gegeben – und viele dieser Zeiten kannten die Angst vor der damit verbundenen Veränderung und die Idealisierung erträumter vergangener Zustände. Die aber waren in Wirklichkeit meist nur ersehnte Traumbilder im Gegenentwurf zu einer schwarz in schwarz gemalten Gegenwart und gefürchteten Zukunft. Wenn aber diese Zukunft später erlebte Gegenwart geworden war und andere Wanderungsbewegungen ins Land kamen, dann erschienen die seinerzeit beklagten, inzwischen Geschichte gewordenen Migrations- und Integrationsprobleme oft in harmonischen Farben als neue Gegenbilder zu den dann wieder als viel düsterer erlebten Migrations- und Integrationsverhältnissen. Solche Erfahrungswechsel kennen die meisten Einwanderungsländer.«
Zwar erleben wir mittlerweile zumindest in deutschen Großstädten eine multikulturelle Normalität, doch diese ist vielen noch immer ein Graus. Nicht umsonst reisten die Terroristen von Sachsen aus fast ausschließlich in westdeutsche Großstädte, um ihren Terror auszuüben, die Banküberfälle verübten sie hingegen im Osten. Offenbar hatten die Rechtsextremen aber die Ignoranz gegenüber Gewalt und Mord an Migranten unterschätzt, ihre Botschaft, so eindeutig sie auch war, kam in der großen Öffentlichkeit nicht an. Bei den Migranten und in der Neonazi-Szene hingegen schon.
Die Tat ist die Botschaft
Man habe einen rechtsterroristischen Hintergrund ausgeschlossen, weil es kein Bekennerschreiben gegeben habe. So erklären Politik, Medien und Sicherheitsbehörden ihr Versagen bei der rassistischen Anschlagsserie des Nationalsozialistischen Untergrunds. Dabei sind Bekennerschreiben von Rechtsextremen die absolute Ausnahme. Die Vernichtung ist die Botschaft. Die Vernichtung der Gegner, durch Gewalt und Terror, ist der Kern der rechtsextremen Ideologie, in der die Idee der Ungleichwertigkeit von Menschen vorherrscht. Diese Erkenntnis ist so alt wie der Rechtsextremismus selbst – spätestens aber seit dem Holocaust sollte bekannt sein, welche eliminatorische Kraft im Rechtsextremismus schlummert – und immer wieder ausbricht.
Die Liste der rechtsextremen Überfälle, Morde und Terroranschläge in Deutschland ist lang. Fast alle diese Attacken haben eins gemeinsam: Bekennerschreiben und vor allem theoretische Abhandlungen, die diese Taten rechtfertigen sollen, gibt es nicht. Dies ist einfach zu erklären: Die Tat ist die Botschaft. Taten statt Worte. Auf T-Shirts der Neonazis stehen Parolen wie »Vernichtet den Feind«, »Gegen Demokraten – helfen nur Granaten« oder »Nie wieder Krieg – nach unserem Sieg!«. Die rechtsextreme Bewegung wähnt sich im Krieg, der Kampf ums Überleben, das sozialdarwinistische
Survival of the Fittest
, gehört zu den Grundpfeilern dieser Ideologie. Endzeitszenarien, wonach Deutschland spätestens 2025 der »Volkstod« drohe, weil es systematisch »überfremdet« werde, sind an der Tagesordnung und erhöhen den Handlungsdruck in einer Bewegung, in der eine explosive Mischung aus Männlichkeitskult und Minderwertigkeitskomplexen, Waffenfetisch und Weltherrschaftsträumen ohnehin prägend sind.
Der
Spiegel
titelte nach dem Bekanntwerden der rassistischen Terrorserie mit der Schlagzeile der »Braunen Armee Fraktion«. Das klingt zwar gut, ist aber falsch und obendrein symptomatisch für den Umgang mit dem Rechtsterrorismus in Deutschland. Die Definition von Terrorismus orientierte sich hierzulande stets an der RAF, die versuchte, ihre Morde in kruden Bekennerschreiben zu legitimieren; seitenlange Pamphlete, in denen der Kampf gegen Imperialisten und Kapitalisten
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