Tesarenland (German Edition)
eingeschlafen ist. Jetzt schläft sie in Brennas Armen. Sie liebt Brenna, aber es ist nicht dasselbe. Trotzdem fürchtet sie sich davor, dass ihre Schwester nicht wieder zurückkommt. Sie hat Angst, was dann aus ihr werden würde. Sie mag nicht allein zurückbleiben.
Seit Mutter fort ist, ist Brenna ihr einziger Halt . Die Beziehung der beiden Schwestern ist viel enger geworden. Früher haben sie sich oft gestritten, jetzt tun sie das nicht mehr. Nur manchmal mag Kayla nicht auf Brenna hören. Dann, wenn sie ihrer Wut auf Mutter irgendwie Luft machen muss. Dann lässt sie ihre schlechte Laune an Brenna aus. Aber es tut ihr fast sofort wieder leid, weil sie spürt, dass ihre Schwester dann traurig ist. Kayla weiß, dass ihre Schwester glaubt, sie wäre nicht gut genug für sie. Aber das stimmt nicht. Sie ist mindestens so gut wie Mutter, nur eben anders. Brenna kann nichts dafür, dass die Zeiten härter geworden sind.
Trotzig hüpft Kayla vom Bettrand und geht auf den Ofen zu. »Du bist weg !«, ruft sie wütend in die Stille. »Aber Brenna ist da. Und du wirst sie mir zurückschicken, hast du gehört!« Sie wischt sich die Tränen vom Gesicht. Sie will nicht, dass Brenna sieht, dass sie geweint hat, wenn sie nach Hause kommt. Brenna kümmert sich gut um sie. Sie kann vielleicht keine Zöpfe machen, und kochen kann sie auch nicht so gut, aber das ist egal. Die Hauptsache, sie ist da. Anders als Mutter. Kayla fühlt sich von Mutter im Stich gelassen. Sie weiß, Zara hat sie nicht freiwillig verlassen, aber das ändert nichts daran, dass sie nicht mehr da ist.
Kaylas Magen zieht sich schmerzhaft zusammen. Sie ballt die Hände zu Fäusten. Die Monster sind schuld. Sie haben ihr alles genommen; Mutter, Vater und ein Leben in Freiheit. Sie wird nicht zulassen, dass sie ihr auch noch Brenna nehmen. Entschlossen dreht sie sich zur Tür um. Sie wird ihrer Schwester folgen und ihr bei der Nahrungssuche helfen. Sie müssen jetzt gegenseitig füreinander da sein. Kayla kann nicht länger zulassen, dass Brenna sie wie ein kleines Kind behandelt. Sie ist kein kleines Kind. Sie kann genauso anpacken. Nur gemeinsam können sie es schaffen, zu überleben. Mutter hat doch immer gesagt, sie wäre viel reifer und mutiger als ihre große Schwester. Kayla wird sich nicht länger in der Hütte verstecken. Außerdem vertraut sie ihrer Schwester. Sie weiß, Brenna würde sie vor allen Gefahren beschützen. Mit festen Schritten nähert sie sich dem Ausgang und legt ihre kleine Hand auf die Türklinke.
Sie stößt die Tür auf, blinzelt gegen die grelle Wintersonne an und schluchzt erleichtert auf. Brenna läuft direkt auf sie zu. Mutters Eimer ist bis zum Rand mit Kohlen und Holz gefüllt, also ist ihre Schwester schon beim Lager gewesen. Und sie lächelt. »Heute gibt es Reissuppe.«
Ja, denkt Kayla. Sie kann Brenna vertrauen. Brenna wird sie beide über den Winter bringen, aber nicht mehr allein. Sie wird ihr dabei zur Seite stehen.
2. Kapitel
Die Hupe ertönt, als ich gerade die letzten getrockneten Kräuter in den Topf mit heißem Wasser werfe. Ich gebe ein paar Stückchen von dem Trockenfleisch bei, das mir der Oberaufseher am Morgen gegeben hat. Wenigstens wird es heute etwas mehr als nur Kräuter in unserer Suppe geben. Vaters Haarsträhne hängt jetzt von der Decke über unserem Bett. Ich habe das Kästchen gegen zwei Eier eingetauscht. Die schlage ich auch noch schnell in die Suppe. Ich selber werde nur wenig für mich nehmen. Diese Suppe soll für Kayla sein, sie soll meiner Schwester wieder etwas Farbe in ihr hübsches Gesicht zaubern. Ich weiß, dass sie unter Hungerkrämpfen leidet. Ich habe gesehen, wie sie immer wieder heimlich eine Hand auf ihren Bauch gelegt und das Gesicht verzogen hat. Ich selbst leide auch unter Krämpfen. Aber mir macht es weniger aus. Doch Kayla befindet sich noch im Wachstum. Sie braucht einfach mehr Nährstoffe für ihren Körper als ich.
Kayla liegt unter Vaters Haarsträhne und pustet sie an, sodass sie sich hin und her wiegt. Ich nehme den Topf vom Ofen, ziehe sie auf die Füße und drücke ihr das Fleisch in die Hand. Das Essen müssen wir auf später verschieben. Sehr schade, denn die Suppe riecht wirklich köstlich. Im Laufe der letzten Monate habe ich dazugelernt. Meine ersten Kochversuche waren grauenvoll, um nicht zu sagen, ungenießbar. Aber Kayla hat alles ohne Murren gegessen. Vielleicht war es gut, dass sie anfangs so sehr unter Schock gestanden hat, weil
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