Tesarenland (German Edition)
Mutter nicht mehr bei uns war, dass sie gar nicht viel von dem mitbekommen hat, was um sie herum geschehen ist – auch nicht die schrecklich schmeckende Marmelade oder das schwarz verbrannte Fladenbrot.
Nur für alle Fälle richte ich ein paar Worte an meine Schwester: »Wenn sie mich mitnehmen, iss jeden Tag ein kleines Stück.« Ich habe kaum Hoffnung, dass sie dieses Mal wegen Nahrungsmitteln oder Medikamenten gekommen sind. Ich breche etwas von einem der Trockenfleischstreifen ab, das so groß ist wie Kaylas Daumen, zeige es ihr und werfe es in die Suppe. »So, nicht mehr, dann kommst du ein paar Tage hin. Es wird der Suppe zusätzlich Geschmack geben.«
Kayla schaut mich schockiert an, wirft sich in meine Arme und weint. »Lass mich nicht alleine. Ich will nicht allein zurückbleiben.« Ich bin überrascht von diesem plötzlichen Gefühlsausbruch. Meine Schwester ist still geworden, seit Mutter weg ist. Sie spricht kaum noch, sitzt die meiste Zeit auf dem Bett und starrt vor sich hin. Früher ist sie ein fröhliches Kind gewesen; immer in Bewegung, ständig kichernd, ununterbrochen schwatzend. Sie hat es geliebt, Mutter im Garten zu helfen und mit mir zu streiten. Aber in den letzten Monaten hat sie sich verändert. Sie ist ernst geworden, depressiv und erschreckend erwachsen. Ständig versucht sie mir zu helfen. Sie hat sich sogar das Nähen zeigen lassen von unserer Nachbarin, damit sie die Arbeiten erledigen kann, die ich nicht fertigbringe. Seit ein paar Tagen spielt sie nicht einmal mehr mit ihren Freunden, sondern hilft mir lieber bei der Nahrungsbeschaffung. Ich mache mir Sorgen um sie. Es darf einfach nicht geschehen, dass sie mich auch noch mitnehmen. Das würde Kayla nicht verkraften. Ihr Herz ist jetzt schon zerbrochen.
»Das wird nicht passieren. Ich verspreche es. Wir werden nicht getrennt«, versuche ich sie zu beruhigen, obwohl ich weiß, dass ich nichts dagegen machen könnte, wenn sie mich auswählen. Dann muss Kayla sich allein durchkämpfen. Ein Schauer läuft mir den Rücken herunter bei der Vorstellung. »Wir müssen los.«
Kayla wischt sich die Tränen von den Wangen, fährt mit dem Arm über ihre winzige Stupsnase und steckt das Trockenfleisch in die Tasche ihres Kleides.
Auf dem Versammlungsplatz ist es schon voll. Der Übersetzer steht auf der Ladefläche des Monstrums. Es ist derselbe Laster, der auch Mutter geholt hat. Das erkenne ich an der Beule, die sich vorne in die bullige Schnauze des Ungetüms drückt. Es sieht aus als wäre er aus einem Zweikampf nur knapp entkommen. Auch der Übersetzer ist derselbe. Bei den Tesaren kann ich das nicht sagen. Die sehen alle gleich aus – zumindest für mich. Aber ich kann ohnehin nur das Auto sehen, da Kayla und ich irgendwo in der Mitte der Menschenansammlung eingepfercht sind und die Tesare sich immer um uns herum platzieren.
Die Ladefläche ist wieder leer. Auch heute wird es keine Lebensmittel geben, das entnehme ich dem unruhigen Gemurmel um uns herum. Ich bin gar nicht so enttäuscht, wie ich es sein sollte. Wahrscheinlich, weil ich schon damit gerechnet habe.
»Stellt euch in zwei Reihen auf«, ruft der Übersetzer laut genug, damit es alle hören können. »Die Kinder auf die rechte Seite des Platzes, die Erwachsenen, Babys und Kleinkinder nach links.« Er zeigt mit der Hand in die ungefähre Richtung.
Der Tesar neben ihm gluckst etwas. Wenn sie sprechen, klingt es, als würde man seinen Kopf unter Wasser halten, und versuchen zu singen.
»Nur die Kinder zwischen sieben und siebzehn«, sagt der Übersetzer. Seine Stimme zittert, als würde es ihm schwerfallen, uns zu sagen, was die Tesare verlangen. Vermutlich kennt er ihre Pläne. Mit Sicherheit ist es besser für uns, es nicht zu wissen. Es gibt Gerüchte, dass die Tesare Menschen in den alten Städten freilassen und sie dann jagen wie Wildtiere.
Ich schlucke einen Kloß runter , um mich herum blicke ich nur in ratlose Gesichter. Niemand scheint zu verstehen, was hier passiert. Noch niemals haben die Tesare die Kinder von den Eltern getrennt. Alle flüstern durcheinander. Kinder schreien, umklammern ihre Mütter und Väter. Mütter fallen vor ihren Kindern auf die Knie und halten sie fest. Alle scheinen verzweifelt. Die Panik greift um sich. Ich kann die Gefahr, die von der Unruhe in der Kolonie ausgeht spüren. Gleich werden die Tesare anfangen, wahllos zu töten. Ungehorsam dulden sie nie. Ich lege Kayla eine Hand auf die Schulter und drücke sie sanft. Das Wissen, dass
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