Tesarenland (German Edition)
mit dem Wenigen zurechtkommen müssen, das Mutters Garten für uns bereithält. Es wird keine Säcke mit Reis, Mehl oder Hafer geben.
Einer von ihnen steht vor der heruntergeklappten Rampe, in der Hand einen Lichtspeer. Um den Platz herum stehen noch fünf weitere, auch sie sind bewaffnet. Nicht, dass es jemand von uns wagen würde, sich ihnen zu widersetzen. Ich habe einmal gesehen, wie einer von ihnen einen Speer auf einen Jungen abgefeuert hat, der kaum acht Sommer alt war. Der kleine Körper ist innerhalb eines Wimpernschlags in Asche verwandelt worden.
A uch die anderen Bewohner der Kolonie kommen jetzt auf den Platz – wenn die Hupe ertönt, muss jeder erscheinen, Zuwiderhandlung wird mit dem Tod bestraft. Unsere Besatzer sind streng. Man sagt, sie könnten nicht fühlen. Wie kann ein Lebewesen nicht fühlen? Ich kann es mir nicht erklären. Muss man nicht hassen, um eine ganze Welt auszulöschen? Muss man nicht hassen, um Milliarden Menschen zu töten?
Mutter bleibt neben mir stehen. Sie trägt noch immer das schmutzige Leinenhemd, das sie für die Gartenarbeit anzieht, damit sie ihre Alltagskleidung nicht beschädigen muss. Kleidung ist Mangelware in unserer Welt und wird meistens von einem zum anderen weitervererbt. Meine löchrigen Hosen haben mit Sicherheit mehr Vorbesitzer, als ich Sommer zähle.
Der Tesar beim Laster zerrt einen Mann aus dem Inneren des Laderaums. An den Pfeilspitzen, die man ihm auf der Stirn eingebrannt hat, erkennt man, dass er ein Leibsklave ist. Die Narben erheben sich als weiße, unregelmäßige Wülste auf seiner Haut, die Spitzen der Pfeile zeigen auf die Nasenwurzel. Leibsklaven leben in der Stadt der Tesare oder haben in den Kolonien die Aufsicht. Der Mann trägt ordentliche Kleidung und sieht wohlgenährt aus. Aber Marco, unser Ältester, ist früher ein Leibsklave gewesen. Von ihm weiß ich, dass die Aliens ihre Menschen grauenvoll misshandeln. Sie ernähren sie nur gut, um sie widerstandsfähiger zu machen. Der Tesar hebt einen Ausleser über seinen Kopf und macht glucksende Geräusche.
»Wir brauchen neun «, übersetzt der Sklave.
Ein Raunen geht durch die Ansammlung Kolonisten. Schon wieder holen sie jemanden fort. Auf das Raunen folgt drückende Stille. Die Angst ist fast greifbar. Niemand weiß, was es bedeutet, geholt zu werden. Wir wissen nur, wer geholt wird, kommt selten zurück.
»Sie wollen neun«, flüstere ich Kayla zu und schlinge meine Finger um ihr Handgelenk. Sie hebt den Kopf und schaut mich aus dunkelgrünen Augen fragend an. Ihr ist noch weniger bewusst als mir, was das zu bedeuten hat. Kaum jemand weiß, was mit den Menschen passiert, die sie mitnehmen. Wir wissen nur, sie gehen für immer.
I ch bin zehn Sommer älter als Kayla. Mit sieben Sommern wird sie das Ausmaß kaum einschätzen können. Wird sie kaum begreifen, was es bedeutet, wenn jemand, den sie kennt, nie wiederkommen wird. Ich kann es, ich war alt genug, als Vater von uns gegangen ist.
Einer von ihnen schiebt sich durch die Menge. Ich habe keine Probleme, ihm mit den Augen zu folgen. Sie sind größer als wir. Sein Kopf überragt die Bewohner von Kolonie D. Er hat einen Ausleser bei sich, den er hier und da einem von uns an den Arm drückt, genau über die Stelle, wo der Chip mit unseren Daten sitzt. Er scheint nach keinem Muster vorzugehen, die Menschen, die er zum Gefährt schickt, könnten nicht unterschiedlicher sein. Da ist die alte Maja, die schon mindestens fünfundvierzig Sommer gelebt hat. Der Bruder meiner Freundin Kati, nur einen Sommer älter als meine Siebzehn. Und Jona, der in seiner Hütte Katzen züchtet, die er gegen gute Ware tauscht.
Bei uns hat es noch nie Katze zu Essen gegeben, weil wir nie genug zusammenbekommen haben, um Jona zufriedenzustellen. Mutter hat erzählt, früher wären Katzen in den Straßen herumgelaufen, man hätte sie jederzeit fangen können. Früher hätte man sie auch noch nicht gegessen, sondern wie ein Familienmitglied im Haus gehalten. Ich kann es mir kaum vorstellen, in einer Katze etwas anderes, als Nahrung zu sehen. Den anderen in der Kolonie geht es wohl genauso, weswegen es keine Katzen mehr in den Straßen gibt, hat Mutter gesagt. Wie es auch sonst keine Tiere mehr in der Kolonie gibt – nur gut bewachte Hühner. Aber keiner würde es wagen, ein Huhn zu stehlen. Stehlen wird mit dem Tod bestraft.
Ein Kloß kriecht meine Kehle hinauf, als sich der Tesar in unsere Richtung bewegt. Meine Mutter schiebt mich hinter sich und ich
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