Tessy und die Hörigkeit der Malerin - 1
ganz freimütig, dass er mal versucht habe, einen von Philipp Sommers Stammkunden für seine Angebote zu interessieren – allerdings deutlich preisgünstiger. Aber der Kunde hat lässig abgewinkt, obwohl es nicht nur um zweihundert Euro ging.“
„Vielleicht sind Ware und Service bei Sommer einfach besser“, wagte Gertrud eine Einschätzung. „Und Stammkunden sind gerne treu, wenn sie sich gut aufgehoben fühlen – das weiß ich aus eigener Erfahrung.“
Paula schüttelte den Kopf. „Das würde die Preisunterschiede trotzdem nicht rechtfertigen. Aber ich weiß natürlich, worauf du hinaus willst: Schließlich ist es jedem selbst überlassen, wie viel er für eine Ware zu zahlen bereit ist. Doch da ist noch etwas anderes. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sommer das eine oder andere teure Stück mehrmals verkauft hat …“
„Wie das?“, fragte Tessy.
„Ganz einfach: Es ist wieder zu ihm zurückgewandert – nach ein oder zwei Zwischenverkäufen.“
Tessy lehnte sich zurück. Sie trank einen Schluck Cola und zuckte mit den Achseln. „Auf gut Deutsch: Er bescheißt das Finanzamt?“
Paula lächelte. „Die Überlegung habe ich auch schon angestellt. Tut er nicht. Die Rückkäufe liegen deutlich unter dem zuvor erzielten Preis. Außerdem zahlt er immer pünktlich und lieber drei Euro zuviel als auch nur einen Cent zu wenig. Aber ich kann natürlich nicht ausschließen, dass er einen Trick verwendet, den ich noch nicht kenne. Wer weiß.“
„Nun gut“, sagte Tessy. „Preisgestaltung und Buchhaltung haben dir also zu denken gegeben. Und weiter?“
Besonders aufregend fand sie die Angelegenheit bisher nicht. Um genau zu sein: zum Gähnen langweilig. Buchhaltungsfragen hatten sie noch nie besonders interessiert. Außerdem hatte sie bisher den Eindruck, dass Paula in ihrem Frust schlicht auf der Suche nach Macken ihres ehemaligen Arbeitgebers war. Aber Paula war eine Ex von Gertrud und außerdem sympathisch.
„Das ist schnell erzählt“, fuhr Paula fort. „Ich hab Sommer darauf hingewiesen, dass in seinen Konten nach meiner Ansicht etwas nicht stimmt – es hätte ja auch ein Irrtum, ein schlichter Fehler vorliegen können. Er hat mich nicht mal ausreden lassen, sondern sofort gefeuert.“
Tessy schüttelte den Kopf. „Wie hat er argumentiert?“
„Dass ich meine Nase in Angelegenheiten stecken würde, die mich nichts angingen.“
„Hm.“ Tessy wiegte den Kopf von einer Seite zur anderen. Philipp Sommer fiel wahrscheinlich nicht in die Kategorie herzenswarmer, geduldiger und verständnisvoller Vorgesetzter, aber das war wohl kaum strafbar. Und Paula schien durchaus eine Art zu haben, mit der sie hin und wieder aneckte. Das kam vor, und gar nicht mal so selten. Tessy hatte da ihre ganz eigenen Erfahrungen.
Gertrud stand auf, holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und hielt eine weitere Flasche in die Runde. „Noch jemand?“
Tessy schüttelte den Kopf, während Paula zugriff und erst mal einen kräftigen Schluck nahm, bevor sie fortfuhr:
„Ich kann mir denken, was in euch vorgeht. Natürlich bin ich sauer, dass der mich so abfertigt und hätte nichts dagegen, aber auch rein gar nichts, wenn man diesem arroganten Arschloch irgendwelche krummen Dinger nachweisen könnte. Und selbstverständlich trifft mich der Jobverlust nicht nur herbe, sondern ziemlich unvorbereitet, zumal ich eine 16jährige Tochter habe, die hauptberuflich pubertiert und die ich durchfüttern muss … Aber das allein ist es nicht.“
„Sondern?“ Tessy sah sie forschend an.
Paula stellte die Bierflasche ab. „Ich hab ein dummes Gefühl. Irgendwas stinkt in dem Laden. Da herrscht manchmal eine ganz merkwürdige Stimmung … Der engste Mitarbeiter von Philipp Sommer ist Simon Koch – er ist sein rechte Hand und sein Vertrauter. Ich finde den total unheimlich, und als Antiquitätenhändler kommt er ungefähr so überzeugend rüber, als wenn ich Werbung für ein jugendliches Modelabel machen würde.“
„Verstehe.“ Tessy verkniff sich das Lachen. „Aber das …“
„Er piesackt den Tischler und Restaurator, wo er nur kann, und schnüffelt außerdem der Lebensgefährtin vom Chef nach.“
„Vielleicht ist er scharf auf sie“, schlug Gertrud vor.
Paula schüttelte den Kopf und verzog keine Miene. „Das könnte ich ja noch verstehen. Die Lady hat durchaus was.“ Sie räusperte sich. „Aber das ist es nicht: Er beschattet sie, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er sie nicht mag. Und Charlotte – so
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