Teufelsengel
nicht an dem Tee, dass ich in der Cafeteria eingeschlafen bin und stundenlang benommen war? Dass ich am nächsten Tag einen Brummschädel hatte wie noch nie?«
Je länger Romy redete, desto sicherer fühlte sie sich. In i hren Worten war sie zu Hause, da kannte sie sich aus. Sie verdrängte die Erkenntnis, dass dieses Gefühl der Sicherheit genau das war - ein Gefühl. Nicht mehr.
Wieder hielt Bruder Arno ihr die Tasse hin.
»Und dass ich mich zu dir hingezogen gefühlt habe? Lag das auch nicht am Tee?«
Sie holte aus und schlug ihm die Tasse aus der Hand.
Der Tee spritzte umher. Die Tasse zersprang in Scherben.
Bruder Arno starrte auf die Lache zu seinen Füßen. Er nickte langsam, als würde er allmählich begreifen. Dann beugte er sich über den Korb auf dem Boden und zog eine Spritze heraus.
»Du hast es nicht anders gewollt«, sagte er.
Calypso wachte verkatert und unglücklich auf. Sein Mund war trocken, sein Gehirn leer.
Er hatte sich gestern von der Stimmung mitreißen lassen, hatte viel zu viel getrunken und musste jetzt dafür bezahlen.
Stöhnend wälzte er sich aus dem Bett und trat ans Fenster. Nebel hatte sich in den Bäumen verfangen. Darüber zeigte sich eine blasse Wintersonne.
Calypso sehnte sich nach der Stadt. Er zog die Schultern hoch. Fröstelnd angelte er nach seinen Sachen und schlüpfte hinein. Die Schlafräume waren ungeheizt. Die Temperatur lag schätzungsweise irgendwo bei null.
So ganz allmählich erinnerte er sich. Er hatte Lusina die Tür zu seinem Zimmer aufgehalten, doch sie hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt, ihn umarmt und ihm einen Kuss auf die Wange gegeben.
Schwesterlich.
Calypso hatte ihr Gesicht in seine Hände genommen und ihr in die Augen gesehen.
»Lass uns nichts überstürzen«, hatte sie geflüstert. »Wenn es so sein soll, dann haben wir noch jede Menge Zeit.«
Wenn es so sein soll.
Sollte es?
Er musste unbedingt Romys Stimme hören. Jetzt erst fiel ihm ein, dass er das Handy ausgeschaltet hatte. Und dann hatte er vergessen, es wieder zu aktivieren.
Auf seiner Mailbox war eine Nachricht.
»Ingo Pangold hier. Bitte ruf mich zurück. Es geht um Romy. Ich mache mir Sorgen um sie.«
Er wählte die Nummer, die auf dem Display sichtbar war, und hatte Ingo sofort am Apparat. Der Journalist kam ohne Umschweife zur Sache.
»Ist Romy bei dir?«
»Nein. Wieso?«
»Weil man sie nicht erreichen kann, weder in der Redaktion, noch zu Hause, noch übers Handy, und im Alibi ist sie gestern auch nicht aufgetaucht, obwohl wir verabredet waren.«
Verabredet? Ingo und Romy?
Calypso wunderte sich.
»Manchmal hasst sie es zu telefonieren. Ich hab sie gestern auch nicht erreicht.«
»Das heißt, du weißt genauso wenig, wo sie ist.«
Diese Bemerkung ärgerte Calypso, weil sie wie ein Vorwurf klang. Und wie ein berechtigter noch dazu. Wenn einer wissen sollte, wo Romy sich aufhielt, dann doch ihr Freund.
Aber er hatte keine Ahnung. War am Freitag wie ein pubertärer Blödmann aus dem Haus gestürmt, ohne sich zu fragen, warum Romy aufgehalten worden war, und hatte sich mit Leuten, die er kaum kannte, in ein Bauernhaus in der Wildnis abgesetzt.
»Sie hat recherchiert«, sagte er. »War in den letzten Tagen so gut wie nonstop unterwegs.«
»Wegen ihrer Story über Wasserleichen.«
»Wasserleichen?«
»Dacht ich’s mir doch.«
Ingos Stimme klang befriedigt. Als hätte er zumindest auf eine seiner Fragen eine Antwort gefunden.
»Wieso Wasserleichen?«
»Sie hat mir erzählt, dass sie über Wasserleichen recherchiert. Hab schon vermutet, dass sie bloß ablenken wollte.«
Dazu schwieg Calypso. Schließlich wussten alle, zu was Mister Größenwahn fähig war, wenn es um eine Story ging.
»Vielleicht verrätst du mir endlich mal, worüber du dir eigentlich Sorgen machst«, sagte er nach einer Weile.
»Ich glaube, dass Romy die Mordfälle recherchiert, die laut Polizei angeblich nicht zusammenhängen.«
Ingo legte eine kleine Pause ein, um Calypso eine Reaktion zu entlocken. Nachdem Calypso ihm den Gefallen nicht getan hatte, sprach er weiter.
»Ich bin mir da ziemlich sicher, weil ich für die Themen, an denen ich selber arbeite, einen sechsten Sinn entwickelt habe.«
»Okay …«
Calypso spürte ein Kribbeln auf der Kopfhaut, das nichts mit der Kälte in diesem fremden Zimmer zu tun hatte.
»Du weißt, wie das ist«, fuhr Ingo fort, »man fragt hier, bohrt da, sammelt Informationen. Und ein paarmal hat mir jemand verraten, es sei schon eine
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