Teufelsengel
Anschriften der Opfer recherchiert und musste nun zusammenstellen, was sie über sie in Erfahrung gebracht hatte.
Beim KölnJournal hatten bisher unterschiedliche Kollegen über die Morde berichtet. Bestimmt wären sie bereit gewesen, Fragen zu beantworten, aber Romy wollte keine schlafenden Hunde wecken. Zum ersten Mal seit Beginn ihres Volontariats hielt sie eine richtige Story in den Händen, und was für eine. Sie war nicht bereit, sie sich von irgendwem wegschnappen zu lassen.
Zurück an ihrem Schreibtisch, nahm sie sich ihr Schmuddelbuch vor und überflog noch einmal, was sie zuletzt notiert hatte.
27. Mai: Mona Fries, achtunddreißig Jahre. Fundort Stadtwald. Mit ihrem eigenen Halstuch erdrosselt.
5. Juli: Alice Kaufmann, achtzehn Jahre. Sülz. Fundort Hinterhof der Diskothek Rainbow. Kehle durchgeschnitten.
29. August: Ingmar Berentz, sechzig Jahre. Fundort Kaufhof-Parkhaus Pipinstraße. Mehrfach überfahren worden.
9. November: Thomas Dorau, zweiundzwanzig Jahre. Fundort Fühlinger See. Tattoo am Handgelenk.
Sie wusste noch immer nicht wesentlich mehr, hatte jedoch inzwischen zumindest herausgefunden, wo die Mordopfer gewohnt hatten. Wenn sie hier fertig war, wollte sie bei einer der Adressen anfangen und sich dort umsehen.
Das Zauberwort aus ihren Notizen war Bindeglied.
Wenn die Morde Taten eines Serienmörders waren, musste es etwas geben, das die Toten miteinander verband. Um Sexualdelikte handelte es sich anscheinend nicht. Nach allem, was Romy wusste, war keines der Opfer vergewaltigt worden.
Und wenn die Morde selbst dem Täter einen Kick verschafft haben? Handelt es sich dann nicht auch eigentlich um Sexualverbrechen?
Sie hatte zu wenig Ahnung von solchen Dingen. Gregs anfängliche Einwände gegen ihren Alleingang waren berechtigt. Vielleicht war die Geschichte ein paar Nummern zu groß für sie.
Sie ging in ihren Gedanken wieder einen Schritt zurück.
Wenn es sich nicht um Sexualmorde handelte, was könnte dann das verbindende Element der einzelnen Taten sein?
Köln.
Alle Opfer wurden in dieser Stadt ermordet.
Mona Fries: Stadtwald.
Alice Kaufmann: Sülz.
Ingmar Berentz: Innenstadt (Pipinstraße).
Thomas Dorau: Fühlinger See.
Hallooo, meine Süßen!«
Romy wurde von der fröhlichen Stimme und dem darauf folgenden Tumult aus ihren Überlegungen aufgeschreckt. Eine Redakteurin, die ein Kind bekommen hatte und nun ein Jahr Elternzeit in Anspruch nahm, war mitsamt Nachwuchs und einem Riesentablett Kuchen zu Besuch gekommen, und alle sprangen auf und beugten sich über den Kinderwagen, aus dem bald darauf ein Geräusch erklang, das Romy an das nächtliche Geschrei liebestoller Katzen erinnerte.
An Arbeit war für die nächsten ein, zwei Stunden nicht mehr zu denken. Also packte Romy ihre Sachen zusammen, gab der jungen Mutter, die sie erst ein einziges Mal mehr oder weniger im Vorbeigehen gesehen hatte, kurz die Hand und schlich sich davon.
Für solche Fälle war das Alibi ein treuer Zufluchtsort. Wenig später saß sie an einem Tisch am Fenster, vor sich den Laptop und einen großen Becher heißer Schokolade, und machte weiter, wo sie in der Redaktion aufgehört hatte.
Die Fundorte der Leichen ergaben kein Muster, wie Romy als eingefleischter Krimifan es sich gewünscht hätte. Die Verbindungslinien zwischen ihnen zeichneten kein geheimnisumwittertes Symbol, das drohend über Köln schwebte. Wäre das Rätsel so leicht zu lösen, dachte Romy, hätte die Polizei es längst getan.
Dasselbe galt für die Stadtteile, in denen die Opfer gelebt hatten.
Mona Fries: Weidenpesch.
Alice Kaufmann: Lövenich.
Ingmar Berentz: Innenstadt.
Thomas Dorau: Ehrenfeld.
Auch zwischen den Wohnungen und den Fundorten der Leichen konnte Romy keinen Zusammenhang erkennen.
Sie notierte sich noch einmal, wann die Leichen aufgefunden worden waren.
27. Mai.
5. Juli.
29. August.
9. November.
Selbst bei längerem Betrachten entdeckte sie keinen gemeinsamen Nenner.
Sie hatte Filme gesehen, in denen Mörder mit den Orten und Daten spielten und auf diese Weise die Ermittler herausforderten. Manchmal ließen sie Gegenstände zurück, die der Polizei einen Hinweis gaben, zu verschlüsselt allerdings, um sie mit der Nase auf die Wahrheit zu stoßen. Oder sie nahmen ihren Opfern einen Fetisch ab (Schmuck vielleicht, ein Kleidungsstück, eine Haarsträhne oder eine Locke), der ihnen dabei helfen sollte, sich ihr Verbrechen bei Bedarf immer wieder in Erinnerung zu rufen.
Auch so
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