Teufelsherz (German Edition)
an ihrem geplanten Ausflug zur Tropfsteinhöhle hatte hindern können. Schließlich waren sie diese Wetterverhältnisse nach dem verregneten April bereits gewohnt. Das Hochwasser des zu einem reißenden Strom gewordenen Tevern war zurückgegangen, und die Naturkundeklasse stapfte mit Regenjacken und Gummistiefeln ausgerüstet über den leicht ansteigenden Pfad durch den Wald, nachdem die asphaltierte Straße geendet und der Bus nicht hatte weiterfahren können. Das leise Prasseln des Regens, aber auch das Rauschen des Tevern unter ihnen wurde durch vielstimmiges Geschnatter übertönt. Bis dieses plötzlich in Schreie umgeschlagen war.
Emily presste die Augen zusammen, atmete tief durch und schwang die Beine aus dem Bett. Sie warf noch einen kurzen Blick auf die Bleistiftzeichnung, die man wohl eher als Gekritzel bezeichnen würde, und wandte sich schließlich vom Bild des Mondsees und den Bergen ab, die ihr immer wieder als Motiv dienten.
Nach der morgendlichen Dusche, unter der sie etwas zu viel Zeit verbracht hatte, fand sie sich wie jeden Tag vor dem Spiegel an der Schranktür wieder und betrachtete sich in den schlabbernden, schwarzen Hosen und dem silbergrauen Pullover, den sie auch schon einmal besser ausgefüllt hatte.
Sie besaß kaum Kleidung in anderen Farben, da ihr diese Kombination immer besonders gut gefallen hatte. Das Schwarz passte zu ihren Haaren, während das Silber perfekt mit ihren grauen Augen harmonierte. Doch inzwischen war es ihr ziemlich egal, was sie anzog, wobei sie an besseren Tagen auch schon überlegt hatte, sich vielleicht mal ein paar neue Teile zuzulegen. Kleidung, die nicht durch einen Gürtel gehalten werden musste. Doch dann hatte sie sich vorgenommen, wieder in ihre alten Sachen hineinzuwachsen, so wie es der Arzt und Psychologe empfohlen hatten.
Die vielen Gesichtscremes, die hauptsächlich durch ihre Mutter den Weg auf die Kommode gefunden hatten und ein frisches Aussehen versicherten, konnten dieses Versprechen – welch Wunder – nicht halten. Emily wirkte blass, ihre Haut war viel zu weiß. Das schwarze Haar, das sie wie immer zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, verstärkte diesen Eindruck noch und betonte ihr schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen.
Mit etwas Wimperntusche und Lipgloss ließ sich da auch nicht viel machen, aber es war immerhin ein kleiner Erfolg.
Was soll’s, dachte sie und wandte sich von ihrem Spiegelbild ab, da es ohnehin nicht besser werden würde.
Als sie die Zimmertür öffnete, stieg ihr bereits der vertraute Duft nach Kaffee und frischen Muffins in die Nase. Sie hasste Kaffee und würde das Gebräu um nichts auf der Welt trinken, aber seltsamerweise liebte sie seinen Geruch am Morgen. Er war ihr so vertraut. Solange sie zurückdenken konnte, war es immer dieser Duft gewesen, der sie in der Frühe auf ihrem Weg in die Küche empfangen hatte. Daher gab er ihr stets ein Gefühl von Geborgenheit.
Schon von der Treppe aus sah sie ihre Mutter hinter dem Küchentresen stehen und Muffins in zwei Papiertüten einpacken. Sie stand immer früh auf, um die verschiedensten Leckereien zu backen und die Familie damit zu verwöhnen.
Marilyn – Mary – Norvell war eine Mutter und Ehefrau wie aus einem kitschigen Film entsprungen. Sie kümmerte sich aufopfernd um ihre Lieben, und das stets mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht. Sie war eine hübsche Frau mit ebenso pechschwarzen Haaren wie Emily und der schlanken Figur eines Teenagers. Eine Frau, die so viel Liebe zu geben und sich stets ein Haus voller Kinder gewünscht hatte. Doch dieser Wunsch war ihr verwehrt geblieben. Nach mehreren Fehlgeburten war Emily eine große Überraschung und Freude gewesen, doch sie war leider das einzige Kind geblieben.
James Norvell, Emilys Vater, war kaum zu Hause. Er war Fernfahrer und ständig irgendwo im ganzen Land unterwegs. Ein Umstand, welcher der Liebe zu seiner Frau keinen Abbruch tat. Emily hatte die beiden immer bewundert. Sie benahmen sich nicht wie verliebte Turteltauben, es waren eher der gegenseitige Respekt und diese scheinbar zufälligen, zärtlichen Blicke, die sie einander zuwarfen, die zeigten, dass sie einfach zusammengehörten.
Eine Familie wie aus dem Bilderbuch, dachte Emily, während sie auf den Frühstückstresen zuging und sich auf einen Hocker setzte.
»Will ist schon da«, bemerkte ihre Mutter und deutete zum Küchenfenster, das zur Straße hinauszeigte.
Emily folgte ihrem Blick und sah zur Auffahrt, an dessen Ende
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