Teufelsjagd
Lettner. Ein Span wurde entzündet, und auf das Allerheiligste fiel das Licht einer Kerze. Das Gesicht über der Kerze war sanft mit widerspenstigem, borstigem Haar, traurigen Augen und den Falten des Alters. Passerel seufzte erleichtert, als er Pater Vincent, den Priester der St. Michael’s Church, erkannte.
»Ich suche Asyl«, wimmerte Passerel.
»Für welches Verbrechen?«
»Keines«, antwortete Passerel. »Ich bin unschuldig.«
»Alle Menschen sind vor Gott unschuldig«, erwiderte der Geistliche. Er entzündete eine Kerze auf dem Altar sowie zwei weitere große Kerzen auf dem Meßopfertisch neben dem Lavabo. »Steht auf! Steht auf!« befahl ihm Pater Vincent. »Hier seid Ihr in Sicherheit!«
Passerel erhob sich und versuchte das Zittern seiner Knie zu unterdrücken.
»Ich bin Master William Passerel«, verkündete er, »der Schatzmeister von Sparrow Hall. Sie klagen mich des Mordes am Archivar Robert Ascham an.«
»Ah!« Der Geistliche kam näher. Er hob eine Hand, um die ein glänzender schwarzer Rosenkranz gewickelt war. »Ich habe von Robert Aschams Tod und von dem des Rektors Sir John Copsale gehört. Das waren beide gute Menschen.«
»Kein Mensch ist gut!« rief hinten aus der Kirche die Anachoretin.
»Nur ruhig, Magdalena!« entgegnete der Priester. »Sir John Copsale bedachte immer großzügig unseren Opferstock. Ich habe von Aschams Tod gehört und von den Taten des Bellman.«
Die Stimme des Geistlichen hallte wie jedes andere Geräusch in der Kirche wider — es war also kaum verwunderlich, daß die Anachoretin sie hören konnte.
»Der Bellman ist hierhergekommen!« sagte Magdalena mit dröhnender Stimme. »Er hat seine Proklamation an das Portal der Kirche geheftet, jawohl, das hat er. Er kam mit kleinen Augen wie eine Maus und zusammengepreßten Lippen angekrochen. Ein Kobold!«
»Ruhig, ruhig!« Der Priester legte Passerel eine Hand auf die Schulter. »Die Verfolger sind fort. Ich habe die Glocke gehört und bin nach draußen gegangen. Alles Schläger. Angeber und Hohlköpfe machen immer den meisten Lärm.« Er lächelte. »Ich habe sie von Gottes Acker gewiesen. Sie hatten kein Recht, hier gewalttätig aufzutreten, aber sie halten an der Kirchhofpforte und um den Friedhof herum Wache. Wenn Ihr von hier fortgeht, werden sie Euch umbringen.« Der Priester schüttelte den Kopf. »Das passierte mit dem letzten, der sich hierhergeflüchtet hat. Er kam und ging wie ein Dieb in der Nacht. In der Hog Lane haben sie ihn erwischt und ihm den Kopf abgeschlagen.«
Passerel stöhnte vor Angst.
»Hier seid Ihr jedoch sicher«, fuhr der Priester freundlich fort. »Schaut.« Er nahm Passerel am Arm und führte ihn zu einer Nische in der Wand. »Dies hier ist der Platz für das Kirchenasyl. Ich werde ein Kissen, ein paar Decken, Wein, Brot und Käse bringen. Ihr könnt vierzig Tage lang hierbleiben.« Er bemerkte, daß Passerel sich an den Bauch langte. »Falls Ihr Euch erleichtern müßt, nehmt die Seitentür. Neben einem der Gräber ist eine Abflußrinne. Achtet aber darauf, wo Ihr hintretet.« Er kicherte. »Fallt nicht hinein, und nehmt auch kein Nachtlicht mit.«
Passerel setzte sich in die Nische. Der Geistliche tapste davon. Wenig später kam er mit einem schadhaften Zinnkelch, einem Krug verdünntem Wein, einem Stück Brot, einigen Streifen gedörrtem Speck, Käse und zwei kleinen, ziemlich harten Weißbroten zurück. Passerel aß hungrig und lauschte den launigen Bemerkungen des Geistlichen, als dieser mit einigen aufgerollten Decken wiederkehrte, die nach Pferdeurin rochen.
»Hier!« Pater Vincent machte einen Schritt nach hinten und bewunderte sein Werk. »Achtet darauf, daß Ihr das Allerheiligste sauberhaltet.« Er deutete auf die rote, flackernde Lampe. »Der Herr sieht Euch, und die Heilige Mutter Kirche beschützt Euch. Ich werde Euch morgen vor der Frühmesse die Beichte abnehmen, und Ihr könnt dann mein Meßdiener sein. Morgen werde ich eine Predigt halten. Eine sehr gute, über die Gefahren des Reichtums.«
»Was soll es dem Menschen nützen«, erscholl Magdalenas Stimme den Mittelgang entlang, »die ganze Welt zu gewinnen, aber doch Schaden zu nehmen an seiner Seele.«
»Richtig, richtig.« Der Priester begann, die Kerzen zu löschen. »Ich lasse eine brennen.« Er beugte sich vor und nahm Passerels Hand. »Gute Nacht, Bruder.«
Pater Vincent ging unter dem Lettner hindurch. Passerel hörte, wie sich die Seitentür hinter ihm schloß, und lehnte sich seufzend zurück. Was soll
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