Teuflische Kuesse
eine Null in eine Neun. Langsam
schloss sie das Buch und sah über ihre Brillengläser hinweg zu Thane auf. »Ich
bezweifle stark, dass es irgendeinen Grund zur Sorge gibt. Wie Sie ist mein
Vetter ein Mann mit vielen Interessen und wenig Spaß an der Langeweile. Er ist
wahrscheinlich nur verschwunden, um einer seiner vielen Neigungen
nachzugeben.«
Thanes Mund
wurde schmal. »Ich wäre geneigt, Ihnen zuzustimmen, wenn da nicht das hier
wäre.«
Er wandte
sich zur Tür, steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen Pfiff aus, der
gar nicht zu dem feinen Herrn passte.
Sterlings
Mastiffs kamen ins Zimmer getrottet, die großen Köpfe hängend und die Augen
voller Trauer. Sie hatten wenig Ähnlichkeit mit den kraftvollen Kreaturen, die
noch vor ein paar Tagen an den Füßen ihres Herrn ins Zimmer marschiert waren.
Sie strichen ratlos durchs Zimmer, als seien sie verloren ohne Sterlings
Stimme als Führung. Nicht mal die kleine weiße Katze
auf dem Kaminsims konnte ihr Interesse wecken.
»Platz,
Caliban. Platz, Cerberus«, befahl Thane.
Die Hunde
schenkten ihm kaum mehr als einen Seitenblick, bevor sie sich ans Fenster
wandten. Sie stießen an die Brokatvorhänge,
setzten sich auf ihre Hinterteile und pressten die Nasen an die Scheibe,
während sie auf die neblige Straße draußen starrten.
»Ich
verstehe nicht«, meinte Diana fröstelnd.
Thane ließ
sich in den Ledersessel gegenüber dem Tisch fallen.
Daran hatte
sie nicht mehr gedacht. Er saß nie. Er lümmelte sich immer hin. »Sie machen
auf diese Art herum, seit Sterling
verschwand. Sie wollen nicht fressen. Sie wollen nicht schlafen. Sie verbringen
die halbe Nacht damit, vor sich hinzujammern.« Finster zog er ein Haar aus dem
Revers. »Und sie stinken furchtbar.«
Diana
konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen. »Vielleicht brauchen sie einen
tüchtigen Diener, keinen Herzog.«
Thane
beugte sich vor und fixierte sie mit seinem Blick. »Haben Sie Sterling jemals
irgendwo hingehen sehen, egal wie lange, ohne
diese beiden Biester an seiner Seite? Selbst die Franzosen nannten sie seine Chiens
de Diable – seine Höllenhunde sozusagen – und
schworen, dass sie geschickt worden waren, um seine Seele in die Hölle zu
begleiten, falls er auf dem Schlachtfeld fallen sollte.«
Als Diana
seine Worte bedachte, fühlte sie einen ersten Schauder der Beunruhigung. Sie
schob einen Blätterstapel zurecht, um ihre unruhigen Hände zu beruhigen. »Wie
lange geht er denn schon ab?«
»Fast eine
Woche. Donnerstag früh gegen zehn Uhr informierte er einen meiner
Stallburschen, dass er im Hyde Park ausreiten wolle. Das war das Letzte, was
von ihm gesehen wurde.«
»Fürchten
Sie, dass er Opfer unfairer Machenschaften geworden sein könnte?«
»So lästig
der Gedanke ist, ich fürchte, damit müssen wir rechnen.«
Diana
kämpfte gegen ihre wachsende Panik. Trotz ihrer dauernden Sticheleien liebte
sie ihren raubeinigen Vetter so sehr, wie
er sie liebte. Für den Rest der Welt mochte er den Teufel spielen, doch für sie
war er stets der Schutzengel gewesen, der die Hauptlast von Vaters Missgunst
auf sich genommen und sie aus Vaters Schusslinie gebracht hatte.
»Es gibt
keinen Grund, das Schlimmste zu befürchten, oder?«, fragte sie. »Er könnte das
Opfer einer Entführung geworden sein.«
»Daran habe
ich auch schon gedacht. Doch es gab keine Drohungen, keine Forderungen nach
Lösegeld. Und wenn jemand
verrückt genug gewesen wäre, Ihren Vetter zu entführen, werden sie uns wohl am
Ende dafür bezahlen, dass wir ihn zurücknehmen. Weil allein seine giftige Zunge
den Mumm auch noch des bösesten Schurken brechen würde.«
Diana war
zu besorgt, um sich an seinem grimmigen Humor zu erfreuen. »Doch wer sollte
danach trachten, Sterling zu verletzen? Hat er irgendwelche Feinde?«
Thane hob
eine Augenbraue und zeigte ihr, wie lächerlich ihre Frage war. »Nun, da muss
ich nachdenken«, sagte er und trommelte mit den Fingernägeln auf der Armlehne
des Sessels. »Da sind die beiden unglücklichen jungen Kerle, die er kürzlich
im Duell angeschossen hat, bevor sie überhaupt nur zum Schuss kamen. Dann ist
da Lord Reginald Danforth, früherer Besitzer eines bezaubernden Landsitzes in
Derbyshire, der jetzt Ihrem Vetter gehört, dank seiner guten Hand beim Kartenspiel.
Ach, und da hätte ich fast seine heftige Liebelei mit der wunderbaren Elizabeth
Hewitt vergessen. Der arme Sterling wusste wirklich nicht, dass die fragliche
Lady verheiratet war, ehe
ihre Liaison vorbei war.
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