Teuflische Kuesse
eigentlich
die Mühe gemacht habe, in den Krieg zu ziehen und gegen die Franzosen zu
kämpfen, wenn ich genauso gut hätte hier bleiben können, um dich zu
bekriegen.«
In
Wirklichkeit wussten sie beide, warum er gegangen war.
Sterling
hatte schnell herausgefunden, warum sein Onkel nichts dagegen hatte, wenn ein
junger Bursche ein wenig Temperament zeigte. Weil der alte Teufel nämlich ein
grausames Vergnügen daran fand, einem dieses Temperament auszuprügeln.
Sterling hatte die Bemühungen seines Onkels, ihn zum nächsten Duke of
Devonbrooke zu formen, stoisch ertragen. Bis er siebzehn Jahre alt geworden war
und – ganz wie sein Vater – innerhalb von acht Monaten dreimal so viele
Zentimeter in die Höhe geschossen war.
Er würde
nie die kalte Winternacht vergessen, als er sich umgedreht und seinem Onkel den
Rohrstock aus den knorrigen Fingern gerissen hatte. Der alte Mann hatte vor
Angst gezittert und gewartet, dass die Hiebe ihn trafen. Sterling hätte immer
noch nicht sagen können, ob es Verachtung für seinen Onkel war oder ob er sich
selbst angewidert hatte, jedenfalls hatte er den Rohrstock in zwei Teile gebrochen,
ihn seinem Onkel vor die Füße geworfen und war gegangen. Der alte Mann hatte
nie mehr Hand an ihn gelegt. Ein paar Monate später hatte Sterling Devonbrooke
verlassen. Er hatte die Bildungsreise, die sein Onkel für ihn geplant hatte,
in den Wind geschlagen und stattdessen zehn Jahre lang die Schlachtfelder
Napoleons bereist. Häufige Besuche in London, wo er ebenso hart spielte wie er
zu kämpfen pflegte, hatten seine kometenhafte Militärkarriere akzentuiert.
»Du
könntest langsam daran denken, nach Hause zu kommen«, sagte Diana. »Mein Vater
ist schon seit über sechs Jahren tot.«
Sterling
schüttelte bedauernd den Kopf. »Manche Gespenster lassen sich einfach nicht
zur letzten Ruhe betten.«
»Wie ich
sehr wohl weiß«, erwiderte sie mit in die Ferne schweifendem Blick.
Kein
einziges Mal hatte sein Onkel sie den Rohrstock spüren lassen. Als Mädchen war
sie nicht einmal dieser Aufmerksamkeit würdig gewesen.
Sterling
wollte nach ihrer Hand greifen, doch sie war schon dabei, einen
zusammengefalteten, cremefarbenen Briefbogen unter dem Tintenlöscher
herauszuziehen. »Das hier ist vor fünf Monaten mit der Post gekommen. Ich hätte
es dir zu deinem Regiment nachgeschickt, aber ...« Ihr anmutiges Achselzucken
sprach Bände.
Sterling
bestätigte ihre Einschätzung, indem er eine Schublade aufzog, um das Schreiben
auf einen Stapel identischer Briefe zu werfen – alle adressiert an Sterling
Harlow, Lord Devonbrooke, alle ungeöffnet. Auch wenn der Duft von Orangenblüten
dem Briefbogen noch anhaftete, er trug nicht die leicht verschnörkelte
Handschrift, mit der Sterling gerechnet hatte. Ein leichter Schauer, sanft wie
der Atemhauch einer Frau, ließ ihm die Nackenhaare zu Berge stehen.
»Mach ihn
auf«, kommandierte er und drückte Diana den Bogen wieder in die Hand.
Diana
schluckte. »Bist du sicher?«
Er nickte
knapp.
Dianas
Hände zitterten, als sie einen Brieföffner mit Elfenbeingriff
unter das wächserne Siegel schob und den Bogen auffaltete. »Geehrter Lord
Devonbrooke«, begann sie leise vorzulesen. »Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu
müssen, dass Ihre Mutter in eine andere, gütigere Welt gegangen ist.« Diana zögerte
kurz, las dann aber widerwillig weiter. »Obwohl Sie es die ganzen Jahre lang
vorgezogen haben, die wiederholten Bitten Ihrer Mutter um Aussöhnung zu
ignorieren, ist sie doch mit Ihrem Namen auf den Lippen gestorben. Ich glaube
zuversichtlich, dass diese Nachricht Ihnen keinerlei übertriebenen Kummer
bereiten wird. Ihre ergebene Dienerin, Miss Laura Fairleigh.«
Diana
senkte langsam den Bogen auf den Schreibtisch und nahm die Augengläser ab. »Oh,
Sterling. Es tut mir so Leid.«
An seinem
Unterkiefer zuckte nur kurz einmal ein Muskel. Wortlos nahm er Diana den Brief
ab, warf ihn in die Schublade und schob sie zu. Allein der Duft von
Orangenblüten hing noch in der Luft.
Ein Lächeln
verbog ihm die Lippen und ließ jenes Grübchen auf seiner rechten Wange tiefer
werden, das seinen Gegenspielern – egal, ob am Spieltisch oder auf dem Schlachtfeld
– jedes Mal das kalte Grausen einjagte. »Diese Miss Fairleigh scheint mir
alles andere als >ergeben<. Wer ist dieses freche, junge Ding, dass sie
es wagt, den mächtigen Duke of Devonbrooke zu tadeln?«
Er wartete
ab, während Diana eines der ledergebundenen Bücher konsultierte. Seine Cousine
führte
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