Teuflische Versprechen
blieb und ihr keiner nehmen konnte, war dieser unbändige Überlebenswille, der sie davon abhielt, ihrem Leben ein Ende zu setzen oder sich einfach in ihr Schicksal zu ergeben, die Perversionen unterschiedlichster Art über sich ergehen zu lassen. Und irgendwann war in ihr der Gedanke gereift zu kämpfen. Und deshalb hatte sie ihren Fluchtplan seit längerem geschmiedet, ohne auch nur eine von den anderen gefangenen Frauen einzuweihen, auch wenn sie sich mit einigen von ihnen angefreundet hatte, weil sie alle das gleiche Schicksal teilten. Und heute war der entscheidende Tag gekommen, von dem sie vorher nicht wusste, wie er enden würde, aber es blieb ihr keine Wahl, als es zu versuchen, denn schlimmer als in den letzten Jahren konnte es nicht werden.
Sie war in einem religiösen Elternhaus groß geworden, auch wenn der Sozialismus vor allem ihre Eltern und Großeltern daran gehindert hatte, ihren Glauben so zu leben, wie sie es gerne gewollt hätten. Alles war bis zur Öffnung der Grenzen im Geheimen geschehen, und doch hatten sie diesen ihren Glauben nie verloren. Ihr Vater hatte einmal gesagt, was immer auch passiere, wie immer auch das Leben verlaufe, Gott habe einen Plan für jeden Einzelnen, und wenn man sich auf Gott verlasse, werde man nicht im Stich gelassen.
Sie hatte in den zurückliegenden Tagen und Wochen mehr denn je gebetet, hatte um Hilfe gefleht, und jetzt hier bei Verena glaubte sie allmählich, dass Gott ihr Flehen erhört hatte. Er hatte ihr diese Inhaberin der Boutique, die sie kaum kannte, geschickt, damit sie ihr half. Und wenn es ihr irgendwiemöglich wäre, würde sie sich dafür revanchieren. Aber noch war längst nicht alles ausgestanden, noch lag eine lange Strecke vor ihr, bis sie endgültig frei war. Und frei sein bedeutet, zu Hause bei ihren Eltern und ihren Geschwistern zu sein.
»Ich zeige Ihnen das Bad und lasse dann auch gleich Wasser einlaufen«, sagte Verena. »Aber vorher werfe ich noch einen Blick auf Ihren Fuß. Setzen Sie sich aufs Bett.«
Nach einer kurzen Begutachtung meinte sie: »Das ist nicht weiter schlimm, wahrscheinlich nur eine Prellung oder Stauchung. Ich kann Ihnen nachher einen Verband drum machen, wenn Sie möchten.«
»Nein, das ist nicht nötig. Wenn ich nicht laufe, tut es auch nicht weh.«
Sie begaben sich ins Bad, das sich schräg gegenüber vom Schlafzimmer befand. Verena Michel drehte die beiden Wasserhähne auf, fühlte die Temperatur und gab etwas Schaumbad dazu.
»Kann ich Sie jetzt allein lassen?«
»Macht es Ihnen etwas aus, bei mir zu bleiben?«, fragte Maria.
»Sie haben noch immer Angst, ich könnte …«
»Nein. Ich möchte nur nicht allein sein, das ist alles.«
»Natürlich. Soll ich uns eine Flasche Rotwein aufmachen?«
»Gerne«, antwortete Maria, während sie sich auszog.
»Du meine Güte, Sie haben ja eine perfekte Figur«, sagte Verena anerkennend. »Ich glaube, darum beneiden Sie viele.«
»Das ist mir egal«, erwiderte Maria lapidar und stieg ins Wasser. »Manchmal habe ich meine Figur gehasst, sie hat mir viel Unglück gebracht.«
»Entschuldigen Sie. Ich hole schnell den Wein, wir unterhalten uns ein bisschen, und nachher bestelle ich das Essen.«
Maria drehte die Wasserhähne zu, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Allmählich floss die Wärme des Wassers durch ihren ganzen Körper. Zum ersten Mal seit einer scheinbar unendlichen Zeit fühlte sie sich gelöst von den unerträglichen Fesseln der Gefangenschaft. Verena kehrte nach wenigen Minuten mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück, zog den Sessel, der in dem großen Bad neben dem Schminkspiegel stand, zur Badewanne hin und setzte sich. Sie schenkte die Gläser halbvoll und stieß mit Maria an.
»Auf Ihr Wohl, und dass sich alles zum Guten wendet«, sagte Verena.
»Danke, dass Sie mir geholfen haben.« Maria nahm einen kleinen Schluck und stellte ihr Glas auf den Wannenrand.
»Keine Ursache. Hier ist übrigens die Karte von dem Italiener.« Verena zog das gefaltete Papier aus der Jackentasche ihres Hausanzugs und legte es neben das Glas.
»Was essen Sie denn am liebsten?«, fragte Maria, ohne in die Karte zu schauen.
»Ich bestelle mir meistens Spaghetti mit Knoblauchsauce. Aber nur, wenn ich am nächsten Tag nicht arbeiten muss«, antwortete Verena lachend. »Und natürlich einen Salat dazu.«
»Dann nehme ich das Gleiche.«
»Ich müsste eigentlich morgen arbeiten«, sagte Verena mit nachdenklicher Miene. »Es kann aber auch sein, dass ich meine
Weitere Kostenlose Bücher