1315 - Das Lied von Blut und Tod
Augen schauten in den Innenspiegel, suchten die Gestalt der jungen Frau hinter dem Gitter im Fond. Dick Ransom wusste nicht, ob sie es ernst gemeint hatte, aber diese weibliche Type im Wagen sah nicht aus, als würde sie Spaß verstehen. Sie grinste zwar, doch das sah mehr aus wie eine offene Provokation.
Ransom zwang sich zur Ruhe. In seiner Kehle spürte er eine Trockenheit. Im Gesicht schwitzte er. Aber Mona hatte Recht. Ihr Bruder kam tatsächlich allein zurück. Die Handschelle hing noch an seinem Gelenk. Er und seine Schwester waren so gefesselt worden, weil sie nicht eben wirkten wie Pfadfinder.
Michael hieß der Knabe. Der Schwarze. Der Vampir, der eigentlich keiner war. Künstliche Gebisse hatten sie gefunden und als Beweisstücke mitgenommen.
Ransom war seit fünf Jahren Polizist. In dieser Zeit hatte sich ein Instinkt für Gefahren entwickelt. Der ließ ihn auch jetzt nicht im Stich. Was hier passierte, fiel aus dem Rahmen. Der Streifenwagen stand an einer recht einsamen Stelle mitten im Gelände. Dass der Gefangene mal musste, war menschlich, und die beiden Beamten gehörten nicht zu denjenigen, die dafür kein Verständnis hatten.
Aber sie hatten auch die Sicherheit nicht außen vor gelassen. Der Kollege war mit dem Gefangenen gegangen, auch wenn so etwas nicht eben Spaß machte.
Jetzt war er nicht zu sehen. Beide hatten sich zuvor hinter ein Gebüsch verzogen. Auch das war nichts Ungewöhnliches gewesen.
Ransom wusste, dass von ihm eine Entscheidung verlangt wurde.
Und er fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut.
Er drehte den Kopf.
Mona saß auf dem Rücksitz und grinste breit. Sie war noch gefesselt. Ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder.
»He, was willst du tun, Bulle?«
»Ich werde jetzt aussteigen«, erklärte Ransom.
»Und dann?«
»Du bleibst hier sitzen.«
»Klar. Mach ich doch gerne. Auf so etwas freue ich mich immer.«
Ransom gab keine Antwort mehr. Er öffnete die Tür und verließ den Wagen. Dass er sich in einer verdammten Klemme befand, lag auf der Hand. Er merkte es auf seinem Rücken. Dort hatte sich eine Gänsehaut gebildet. Sie strahlte eine gewisse Kälte aus. Das sah alles nicht gut aus, und wenn er in das feixende Gesicht der Blonden schaute, wurde es ihm noch mulmiger.
Ransom hasste es, seine Waffe einzusetzen. Er war kein schießwütiger Typ. Hier allerdings sagte ihm eine innere Stimme, dass es besser war, wenn er sie zog. Und so holte er sie neben dem Wagen stehend hervor. Allerdings hielt er sie gegen seine rechte Körperhälfte. Sie sollte nicht sofort auffallen.
Mike war nicht mehr da.
Für einen Moment glaubte Ransom, im Wald zu stehen. Er wollte sogar lachen. Das schaffte er nicht. Wieso war dieser Typ verschwunden? Wie hatte er vom Erdboden verschluckt werden können? Das war einfach nicht drin. Er konnte sich auch nicht in Luft auflösen und…
Dick Ransom schaute sich um. Er ging vom Wagen weg. Er hielt die Lippen zusammengepresst. Dieses Katz-und-Maus-Spiel gefiel ihm überhaupt nicht. Leider musste er zugeben, dass beide Gefangenen die Stelle gut gewählt hatten.
Vor ihnen fiel die Straße etwas ab, sodass sich an den Seiten eine Böschung hatte aufbauen können. Sie war mit Gras und dünnem Strauchwerk bewachsen. Nach rechts hin hatte er noch freien Blick auf die Landschaft mit ihren kleinen Hügelbuckeln und den niedrigen Sträuchern darauf.
Dort hatte er Michael zum letzten Mal gesehen. Oder Mike, wie sich der Typ auch nannte. Er zeigte sich noch immer nicht. Auch von Ransoms Kollegen war nichts zu sehen. Diese Mona hatte davon gesprochen, dass er tot sei. Darüber hatte Dick nicht gelacht, als es gesagt worden war, und darüber lachte er auch jetzt nicht. Noch wehrte er sich gegen die Erkenntnis, dass dies zu einer Tatsache werden konnte.
Sein Herz schlug noch immer unnatürlich. Um die Brust herum wurde es ihm eng. Der weiche Wind kam in kleinen Böen. Hin und wieder brachte er den Geruch des Frühlings mit, frisches Gras und irgendeinen Duft von Wildkräutern.
In dieser Umgebung ruhte man sich aus oder ging spazieren. Sie war nicht geschaffen worden, um Angst zu bekommen, doch dieses Gefühl wollte den Polizisten einfach nicht loslassen.
Er konnte nicht hier stehen bleiben und nach seinem Kollegen rufen. Dass dieser sich bisher nicht gemeldet hatte, dafür gab es einen Grund. Ransom hoffte, dass er nicht schrecklich war und tatsächlich mit dem Tod in Zusammenhang stand.
Er musste etwas unternehmen!
Dick Ransom schaute noch mal
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