The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
nicht folgen. Immerhin wusste ich nicht, wo es mich hinführen würde, und ich hatte mich jetzt schon zu weit von unserem Viertel entfernt.
Jaxon hat dir aufgetragen, ihn zu finden. Der Gedanke schien weit weg zu sein. Er wird wütend werden. Ich schob mich weiter voran, bewegte mich schneller, als es mir in meinem Körper je möglich gewesen wäre. Immer stärker stemmte ich mich gegen die Grenzen, die mein physischer Aufenthaltsort mir auferlegte. Jetzt konnte ich das seltsame Bewusstsein erkennen. Es war nicht silbern wie die anderen. Nein, dieses Ding war dunkel und kalt, ein Bewusstsein aus Eis und Stein. Ruckartig schoss ich darauf zu. Er war so verdammt nah … Ich durfte ihn jetzt nicht verlieren …
Ein Schauder lief durch den Æther, und da, innerhalb eines Herzschlags war er verschwunden. Das Bewusstsein des Fremden war wieder entwischt.
*
Jemand schüttelte meinen Körper.
Mein silbernes Band – die Verbindung zwischen meinem Körper und meinem Geist – war extrem empfindlich. Nur mit seiner Hilfe konnte ich auf die Entfernung Traumlandschaften erspüren. Und es konnte mich abrupt in meinen Körper zurückbefördern. Als ich die Augen aufschlug, wedelte Dani mit einer Taschenlampe vor meiner Nase herum. »Pupillenreflex gut«, murmelte sie.
Danica, unser hauseigenes Genie, das intellektuell höchstens von Jax übertroffen wurde. Sie war drei Jahre älter als ich und so charmant und einfühlsam wie ein Schulhofschläger. Als sie eingestellt wurde, hat Nick sie als Psychopathin klassifiziert. Jax behauptete, das sei einfach Teil ihres Charakters.
»Guten Morgen, Träumerin.« Sie verpasste mir eine leichte Ohrfeige. »Willkommen zurück in der Realität.«
Meine Wange brannte – ein unangenehmes, aber gutes Zeichen. Ich hob die Hand, um die Sauerstoffmaske abzusetzen.
Im Halbdunkel zeichneten sich langsam die Umrisse des Unterschlupfs ab. Jax’ Heim war wie eine geheime Räuberhöhle: Auf den verstaubten Regalen stapelten sich verbotene Filme, Musik und Bücher. Neben einer Sammlung von billigen Heftchenromanen lagen haufenweise Flugblätter, die meisten davon unordentlich zusammengetackert. Das hier war der einzige Ort auf der Welt, an dem ich lesen, tun und mir ansehen konnte, was immer ich wollte.
»Du solltest mich nicht so wecken«, sagte ich. Sie kannte die Regeln. »Wie lange war ich dort?«
»Wo?«
»Was denkst du denn, wo?«
Dani schnippte mit den Fingern. »Ach ja, klar – der Æther. Tut mir leid, war nicht ganz bei der Sache.«
Höchst unwahrscheinlich. Dani war immer bei der Sache.
Ich sah auf die blaue Nixie-Uhr, die auf der Herz-Lungen-Maschine montiert war. Dani hatte das Ganze selbst konstruiert. Sie nannte es das Dead Voyant Sustainment System , kurz DVS – eine Art Tote-Seher-Erweckungs-System. Die Maschine überwachte meine Vitalfunktionen und zeichnete sie auf, wenn ich längere Zeit den Æther absuchte. Als ich die Ziffern sah, rutschte mir das Herz in die Hose.
»Siebenundfünfzig Minuten.« Ich rieb mir die Schläfen.
»Du hast mich eine ganze Stunde im Æther gelassen?«
»Kann sein.«
»Eine ganze Stunde ?«
»Befehl ist Befehl. Jax meinte, du sollst bis Sonnenuntergang dieses mysteriöse Bewusstsein knacken. Hast du es geschafft?«
»Ich hab’s versucht.«
»Soll also heißen, du hast versagt. Dann kriegst du wohl keinen Bonus.« Sie kippte ihren Espresso runter. »Ich kann immer noch nicht fassen, dass du Anne Naylor verloren hast.«
War ja klar, dass sie wieder davon anfangen würde. Wenige Tage zuvor war ich ins Auktionshaus geschickt worden, um einen Geist zurückzuholen, der rechtmäßig Jax gehörte: Anne Naylor, den berühmten Geist von Farringdon. Ich war überboten worden.
»Wir hätten Naylor sowieso nicht gekriegt«, erwiderte ich. »Didion hätte einen Zuschlag auf jeden Fall verhindert, nach allem, was beim letzten Mal passiert ist.«
»Wenn du meinst. Mir war von Anfang an schleierhaft, was Jax mit einem Poltergeist gewollt hätte.« Dani sah mich an. »Er sagt, er hätte dir das Wochenende freigegeben. Wie hast du das denn angestellt?«
»Psychologische Gründe.«
»Was bedeutet … ?«
»Dass du und deine Apparate mich wahnsinnig machen.«
Sie warf ihre leere Tasse nach mir. »Ich kümmere mich hier um dich, kleine Kröte. Meine Apparate funktionieren nicht von allein. Ich könnte auch einfach hier rausspazieren und Mittagspause machen, bis dein trauriges Mickerhirn völlig ausgetrocknet ist.«
»Fast wäre es
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