The Cutting
fragen, dann ist das die reinste Geldverschwendung.«
Mit Hilfe der Google-Satellitenbilder lokalisierte McCabe das Grundstück. Häuser waren auf den Bildern nicht zu erkennen, aber das ganze Gebiet war dicht bewaldet, so dass sie vielleicht einfach von Bäumen verdeckt wurden.
Als Nächstes googelte er Maurice Kane. Über eine Million Treffer. Die meisten beschäftigten sich mit seiner Karriere. Dutzende von Biografien, aber kein einziger Nachruf. Der Maestro war anscheinend noch am Leben. McCabe überflog ein paar Dokumente. Kane war 1919 in Bath, England, geboren worden, das heißt, er musste heute fünfundachtzig oder sechsundachtzig Jahre alt sein. Er war eindeutig ein Wunderkind gewesen. Sein erstes öffentliches Konzert gab er mit sieben und studierte danach bei etlichen der berühmtesten Musiker Europas. Im September 1939 schloss er sich dem britischen Geheimdienst an und arbeitete während des Krieges als Übersetzer und Dolmetscher. Sechs Jahre lang gab er nur gelegentlich Konzerte, meistens in London. Nach dem Krieg war es mit seiner Karriere steil bergauf gegangen. Die Kritiker überschlugen sich vor Begeisterung über die »geistreiche, scheinbar mühelose Muskulosität« seines Stils. Andere hoben vor allem seine »außergewöhnliche Virtuosität« hervor. 1961 zog er nach New York. McCabe entdeckte Dutzende Aufnahmen, aber seit den späten Neunzigerjahren war keine neue CD mehr auf den Markt gekommen. Etwa zur selben Zeit hatten auch die Konzerttourneen aufgehört. Eine Europa-Tournee war 1997 aufgrund eines leichten Herzinfarktes abgesagt worden. Zwei Jahre später wurde wieder eine Tournee abgesagt, dieses Mal wegen »nervlicher Erschöpfung«. McCabe suchte weiter. Anfang 2000 war Kane wegen »Schmerzen im Brustkorb« ins Krankenhaus gekommen. Außerdem gab es einen Hinweis auf eine chronische Herzinsuffizienz. Eine Operation wurde nirgendwo erwähnt. Nach 2001 gab es überhaupt keine Erwähnung mehr.
Das Telefon klingelte. Maggie. Aus der Trinity Street. »Wolltest du nicht nochmal hierherkommen?«
»Wie läuft denn die Durchsuchung?«
»Sind immer noch dabei.«
»Was Interessantes gefunden?«
»Nicht viel.«
»Hat Kane irgendwelche Fingerabdrücke hinterlassen?«
»Wir haben noch keine gefunden. Um auf meine Frage vom Anfang zurückzukommen: Kriegen wir dich hier nochmal zu sehen?«
»Nein. Du und Tasco und Jacobi, ihr bringt die Durchsuchung zu Ende. Ich fahre hoch nach Blue Hill.«
»Was ist denn in Blue Hill?«
»Das Haus, in dem Lucas Kane seine Kindheit verbracht hat.«
»Glaubst du, dass er dahin geflüchtet ist?«
»Ich glaube, dass er dort vielleicht Menschen aufschlitzt.«
»Und du willst alleine los?«
»Das habe ich vor.«
»Ein ziemlich dämlicher Plan, wenn ich mal so sagen darf. Du steckst doch sowieso schon in Schwierigkeiten, weil du dich in Gray ohne Rückendeckung mit Sophie Gauthier getroffen hast. Wieso rufst du nicht die Maine State Police? In Ellsworth, ganz in der Nähe, gibt es doch eine Kaserne.«
»Wozu? Damit die mit kugelsicheren Westen und in voller Montur ein Haus stürmen, das unter Umständen leer steht? Auf welcher Grundlage? Einer Ahnung? Einem Gefühl?«
»Auf Grundlage der Tatsache, dass es sich hier um einen sehr gefährlichen Täter handelt, der schon mehr Menschen auf dem Gewissen hat, als ich überhaupt wissen will. Scheiße, McCabe, du denkst immer, du schaffst alles alleine – und ausgerechnet du bezeichnest Kane als risikofreudig. Nicht einmal der Lone Ranger ist je ohne seinen Gefährten Tonto losgezogen.«
»Mag, im Augenblick weiß ich bloß, dass Kane als kleiner Junge dort die Sommerferien verbracht hat. Es deutet absolut nichts darauf hin, dass er auch jetzt dort ist. Er könnte überall sein. Wenn ich Hilfe brauche, dann kann ich immer noch die Nationalgarde rufen.«
»Ich komme mit.«
»Ist nicht nötig, Maggie.«
»Keine Widerrede. Überleg doch mal, was beim letzten Mal passiert ist, als du das gesagt hast. Du brauchst irgendeine Form von Unterstützung, und ich schätze mal, das bin in diesem Fall ich. Ich komme mit.«
»Wie du willst. Sei in zehn Minuten hier.«
»Ich fahre vorher noch kurz in der 109 vorbei. Nur um sicherzugehen, dass wir alles haben, was wir brauchen.«
50
Freitag, 19.00 Uhr
McCabe folgte der Route, die er mit Hilfe der Landkarte rekonstruiert hatte. Sie bogen in Augusta von der Autobahn ab und kämpften sich im dichten Verkehr die Route 3 in Richtung Osten entlang. An einem Freitagabend
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