The Doors
Rolling Stones in ihrer Blütezeit gesehen zu haben. Als ich sie dann 1976 zum ersten Mal auf der Bühne erlebte, kam es mir so vor, als sei dieser Zug schon vor geraumer Zeit abgefahren – ich hätte nie gedacht, dass sie noch weitere fünfzehn Jahre herunterreißen würden.« Hätte sie damals gedacht, dass sie denselben Satz auch noch zwanzig Jahre später zu Papier bringen könnte?
Angesichts der Vorzeichen des Zusammenbruchs des sowjetischen Machtblocks im Jahr 1989 schrieb Francis Fukuyama seinen berühmten, mit einem New Yorker -Cartoon versehenen Essay »The End of History«, in dem er verkündete, dass die Menschheit in Zukunft allenfalls im Bereich der Mode mit Veränderungen rechnen müsste; er verhieß seinen Kindern ein Leben voller Frieden, Harmonie und gegenseitiger Toleranz. Neil Young, bei der Aufnahme von »For What It’s Worth« ein Mitglied von Buffalo Springfield, erkannte diese Vorzeichen ebenfalls und nahm einen Song mit dem Titel »Rockin’ in the Free World« auf. Young hatte bereits einen langen, mit Absonderlichkeiten gepflasterten Weg hinter sich: Mal wirkte er verwirrt, konfus, mal verschroben, und es kam immer wieder vor, dass er einen aus heiterem Himmel überraschte und mitunter sogar aus der Fassung brachte. Er behauptete, er sei ein Indianer. Er sagte positive, abstruse Dinge über Charles Manson. Er schrieb und sang »Ohio«, einen ebenso mitreißenden wie verbitterten Song über die Erschießung von Studenten auf dem Campus der Kent State University im Jahr 1970. Als er sich 1984 für Reagan starkmachte, sagte er: »Man kann die Schwachen nicht immer nur unterstützen. Man muss dafür sorgen, dass die Schwachen aus eigener Kraft stehen, auf einem Bein, auf einem halben Bein, auf was immer sie haben.« »Rockin’ in the Free World« war ein Statement, das ihm offenbar so sehr am Herzen lag, dass er es gleich zweimal aufnahm – einmal akustisch und live, einmal elektrisch im Studio – und auch beide Fassungen veröffentlichte: Das Statement lief darauf hinaus, dass die freie Welt der Freiheit den Rücken kehrte.
In der akustischen Version ist das Publikum genauso präsent wie der Sänger, und es ignoriert die bitteren Vorwürfe, mit denen der Sänger die Entwicklung geißelt, die sein Land genommen hat. Die Leute im Publikum jubeln, als Young über ein totes Crackbaby singt: »That’s one more kid / that’ll never go to school / never get to fall in love / never get to be cool« (wenn diese Zeilen kein Rock ’n’ Roll sind, was dann?). Die Leute johlen, sie stampfen mit den Füßen auf den Boden, sie recken die Fäuste empor, sie schleudern die Arme in die Höhe: Die freie Welt! Hey, wir haben gewonnen! Sie sind völlig aus dem Häuschen, weil sie diese Sixties-Gestalt leibhaftig vor sich sehen: Nach Youngs Tod können sie allen erzählen, dass sie ihn zu seinen Lebzeiten gesehen haben! Die Leute im Publikum klingen so, als würden sie sich gegenseitig einen Wasserball zuwerfen, während der Typ auf der Bühne über den Tod all dessen singt, was ihm lieb und teuer ist.
Das ist schlimm, aber irgendwie auch gut. Der Sound von der Bühne und der Sound vom Publikum besagen, dass für die öffentliche Person Neil Young noch nichts endgültig entschieden ist. Dass er vor einem großen Publikum steht und eine akustische Gitarre spielt, um seinen Song für Leute zu singen, denen es egal ist, was er zu sagen hat, erlaubt den Schluss, dass Young eines Tages womöglich an einer Straßenecke steht, mit einem geöffneten Gitarrenkoffer zu seinen Füßen. Das Ganze ist ein Versprechen, dass er immer schreien wird, selbst wenn sein Schrei nicht gehört wird, ein Versprechen, dem zufolge ein ungehörter Schrei sein eigenes Machtprinzip darstellt, und zwar deshalb, weil es sich in der Welt der Popkultur so verhält, dass etwas, was man nicht hört, nicht existiert. Dieser Schrei ist der Baum, der umfällt, ohne dass jemand es hört, und somit der Baum, der nie umfiel, bis das Echo die Welt Jahre später erzittern lässt wie ein Erdbeben. Young personifiziert dieses Paradoxon: Er tritt auf als ein Relikt aus den Sixties, das kein Relikt ist, als jemand, der seine beste Musik bereits gemacht hat und sie gleichzeitig erst noch machen muss. Er beharrt darauf, dass es nach wie vor seine Aufgabe sei, die Geschichte zu beschreiben, sie als einen Betrug zu entlarven und seiner Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen.
Das Gleiche trifft auf Oliver Stone und The Doors zu. Stone war Mitte vierzig,
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